
Mathias Johannmeier gerät schnell ins Schwärmen, wenn er über seine Arbeit als Orgelbauer erzählt. Der 47-Jährige betreibt eine kleine Tischlerwerkstatt im ostwestfälischen Stemwede. Seit bald vier Wochen ist Datteln sein zweites Zuhause. Johannmeier ist mit der Generalüberholung der Orgel in der Lutherkirche betraut worden. Und die wird in der Regel nur alle 20 bis 25 Jahre durchgeführt. Bis seine Arbeit beendet ist, werden weitere vier Wochen ins Land ziehen – so aufwendig ist die Arbeit an der Königin der Instrumente.
Orgel in der Lutherkirche ist obere Mittelklasse
Eine Generalüberholung sei um ein Vielfaches komplizierter als eine Wartung, sagt Johannmeier. „Ähnlich wie bei einem Auto wird auch bei Orgeln rund alle zwei Jahre eine Wartung durchgeführt“, sagt er. „Da werden dann zum Beispiel die verbauten Dichtungen überprüft.“
Aber eine Generalüberholung, das sei schon etwas Besonderes. Schließlich sei es bei einem Wartungsintervall von über 20 Jahren gut möglich, ein Instrument nur ein einziges Mal zu bearbeiten. Die 1967 von Alfred Führer erbaute Kirchenorgel gehöre zur oberen Mittelklasse, erklärt Mathias Johannmeier. „Das ist schon was richtig Ordentliches. Der Preis dürfte damals bei 150.000 D-Mark gelegen haben“, schätzt der Orgelbauer. „Heute würde man für den Bau einer Orgel dieser Qualität sicher 800.000 Euro bezahlen müssen.“ Die Generalüberholung schlägt mit 45.000 Euro zu buche.
Kantorin schaut regelmäßig in der Kirche vorbei
Davon muss der Orgelbauer sämtliche Auslagen, wie etwa die Hotelkosten für sein gesamtes Team bestreiten. Gesammelt wurde das Geld für die Generalüberholung in der Gemeinde, berichtet Kantorin Irina Tseytlina. Die Organistin schaut immer mal wieder vorbei, schließlich ist sie es, die dem Instrument seit 15 Jahren bei Messen und Konzerten die Flöten- bzw. Pfeifentöne entlockt. „Auch an solch einem großen Instrument verstellt sich über die Jahre mal etwas“, erklärt Orgelbauer Johannmeier. „Und ja, das Instrument verstimmt sich auch.“ Doch das sei für den Zuhörer kaum wahrnehmbar. „So ganz perfekt ist eine Orgel eigentlich nie gestimmt“, ergänzt die Kantorin. Denn wechselnde Temperaturen führen zu Veränderungen der Materialien und damit auch zu Tonveränderungen.
Vier Wochen für den Ausbau aller Teile
In den vergangenen vier Wochen hat Mathias Johannmeier mit seinem Team sämtliche Teile aus dem schrankähnlichen Aufbau entfernt. Das sei ein bisschen wie Großreinemachen Zuhause, sagt er. „Man räumt sämtliche Schränke aus, staubt ordentlich ab, putzt die Schränke innen wie außen und repariert kleinere Schäden an den Schränken. Und wenn das ganze Geschirr gespült ist, werden die kaputten Teile ausgetauscht. Dann wird alles wieder eingeräumt.“ Ähnlich sei das auch bei der Generalüberholung der Orgel in der Lutherkirche.
Allein 2800 Pfeifen – die größte wiegt satte 100 Kilogramm – mussten dafür vorsichtig ausgebaut werden. Die Pfeifen hat Johannmeier anschließend draußen vor der Kirche mit einem Wasserschlauch und einer riesigen Bürste, ähnlich einer Flaschenbürste, gereinigt. „Eine nach der anderen“, sagt der Orgelbauer. Nicht alle Teile der Orgel kann Johannmeier vor Ort in Datteln instandsetzen. „Es gibt Teile, die muss ich in der Werkstatt überarbeiten“, sagt er.
Dattelner Firma lässt die Orgel in strahlendem Licht erscheinen
Nach dem Ausbau der Pfeifen hat die Firma Benterbusch die Elektrik der Orgel überprüft und neue Leuchtmittel verbaut. „Das haben die echt gut gemacht“, lobt Johannmeier die Arbeit des Dattelner Elektrofachbetriebs. „Die neuen Leuchtelemente sind sehr geschmackvoll ausgewählt und an optimaler Stelle verbaut worden. Gefällt mir gut.“
In den kommenden Tagen beginnt das Orgelbauer-Team mit dem Wiedereinbau sämtlicher Elemente. Und dann geht es daran, die Königin der Instrumente wieder, „in Stimmung zu bringen“, sagt Mathias Johannmeier. Und das ist ein hochkomplexer und aufwendiger Vorgang, der sich tatsächlich über mehrere Wochen erstrecken wird. „Wir setzen ein Register zusammen“, erklärt Johannmeier. „Und nur dieses erste Register wird mit technischer Hilfe gestimmt. Und zwar auf den Kammerton A.“
Dann beginne der Teil des insgesamt acht Wochen umfassenden Auftrags in Datteln, bei dem er wirklich absolute Stille brauche, sagt der 47-jährige Ostwestfale. „Alle folgenden Register stimme ich dann nämlich rein nach Gehör.“ Nur einer seiner Mitarbeiter darf dann noch mit ihm in der Kirche bleiben. Mit dem gehe er dann Flöte für Flöte und Pfeife für Pfeife durch und bringt diese in die richtige Tonlage. „Da muss man einfach Ruhe haben“, erklärt Mathias Johannmeier.
Über das absolute Gehör, also die Fähigkeit jeden Ton ohne Zuhilfenahme von Hilfsmitteln exakt zu bestimmen, verfüge er aber nicht. „Zum Glück“, erklärt der Orgelbauer. „Wenn ich jede noch so kleine Abweichung hören würde, könnte ich Musik wohl kaum noch richtig genießen.“ Er könne dann vermutlich kein Konzert mehr besuchen und die Schönheit des gespielten Werkes in vollen Zügen genießen. „Und das wäre es mir nicht wert.“ Kantorin Irina Tseytlina freut sich schon sehr auf den Tag, an dem sie „ihre“ Orgel in ihrer neuen klanglichen Pracht erklingen lassen wird. „Die Orgel wird sich nicht viel anders anhören als vorher, aber sie wird klarer, frischer klingen.“