
30 Jahre lang hat die Dorstenerin psychiatrische Diagnosen mit sich herumgetragen: rezidivierende Depressionen, eine generalisierte Angststörung und Panikattacken.
Behandelt wurde sie mit verschiedenen Medikamenten und therapeutischen Ansätzen – aber nichts passte so richtig. „Ich habe mich schon mein Leben lang ‚falsch’ gefühlt und bekam das auch oft gespiegelt“, sagt sie. Erst mit 50 Jahren bekam sie in der Schlossklinik Pröbsting in Borken die richtige Diagnose: ADHS.
Diagnose war ein Wendepunkt
Diese Diagnose war für sie ein Wendepunkt. „Es erklärte sich plötzlich alles.“ Vorher habe sie sich oft gefragt, was mit ihr nicht stimmt. Warum sie ständig überfordert ist, keine Ordnung halten kann und warum sie alles auf den letzten Drücker macht – unter massivem Druck, wie gelähmt bis zur letzten Minute.
Nach der Diagnose hat sich viel verändert – nicht nur im Erleben, sondern auch im Rückblick auf das bisherige Leben.
„Ich bin traurig und wütend über verpasste Chancen, kaputte Beziehungen und verlorene Zeit. Immer wollte ich mich der Gesellschaft anpassen, was einfach nicht möglich war und unendlich viel Kraft kostete.“
Dieses sogenannte Maskieren ist bei vielen Betroffenen ein zentraler Punkt: das ständige Verbergen oder Überspielen der Symptome, das oft zu chronischer Erschöpfung, sozialem Rückzug und einem völlig verzerrten Selbstbild führt.
ADHS ist eine Spektrumserkrankung
ADHS ist eine sogenannte Spektrumserkrankung – das bedeutet, dass sich die Symptome bei jedem Menschen unterschiedlich äußern. Sie können von innerer Unruhe über Impulsivität, Vergesslichkeit und Desorganisation bis hin zu starker emotionaler Reizbarkeit reichen.
Im Alltag bedeutet dies, dass Mahnungen, vergessene Retouren, ungekündigte Abos und das 17. neue Hobby mächtig ins Geld gehen, viel Zeit für das Suchen von Schlüssel, Handy oder Fernbedienung verbraucht wird, Reize wie Geräusche oder Licht kaum auszuhalten sind und es im Kopf nie leise wird.
„Ich will nicht jammern, ich will was tun“, sagt Denise Müller. Weil sie gemerkt hat, wie viele andere Erwachsene in einer ähnlichen Lage sind, hat sie selbst die Initiative ergriffen: Mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen gründet sie eine Selbsthilfegruppe für Erwachsene mit ADHS.
Neue Selbsthilfegruppe
Die Gruppe richtet sich an Menschen mit Diagnose, aber auch an jene, die noch mitten im Diagnostikprozess stecken oder sich darin wiedererkennen. Die Gruppe trägt den Namen „ADHS-Gruppe für Dorsten/Kreis Borken“ und trifft sich ab dem 11. Juli jeden zweiten Freitag im Monat um 18 Uhr im Carola-Martius-Haus (CMH), Urbanusring 17 in Dorsten-Rhade.
„Wir suchen den Austausch und gemeinsam nach Lösungen“, sagt Denise Müller. Es geht um Alltagstipps, hilfreiche Apps, Strategien, aber auch um Themen wie GdB, Pflegegrad oder Medikamentenerfahrungen. Vor allem geht es aber um das Gefühl, endlich verstanden zu werden.
„In dieser Gruppe muss sich niemand erklären oder rechtfertigen, wenn er zu spät kommt, mit dem Stuhl wippt oder mal von einem Schmetterling abgelenkt ist. Wir kennen das alles und jeder darf so sein, wie er ist.“
Im Umkreis gäbe es bislang nur sehr wenige Angebote für Erwachsene mit ADHS, doch der Bedarf sei groß. Mit dem Standort Rhade hofft sie, Betroffene aus Dorsten und dem Kreis Borken anzusprechen, die sonst nach Marl oder Bocholt ausweichen müssten.