Bemerkenswerter Fall Gericht verurteilt zehnjährigen Jungen nach Spielplatz-Schubs

Der Spielplatz in der Siedlung „Freiwiese“: Ein Mädchen wurde von dem Podest der Seilbahn hinten links im Bild geschubst und erlitt dadurch eine Schädelprellung.
Der Spielplatz in der Siedlung „Freiwiese“: Ein Mädchen wurde von dem Podest der Seilbahn hinten links im Bild geschubst und erlitt dadurch eine Schädelprellung. © Frank Bergmannshoff
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Der Fall ist durchaus bemerkenswert – nicht nur, weil er einen gewissen Seltenheitswert besitzt. Er widerlegt auch die weitverbreitete Ansicht, dass minderjährige Kinder nicht für ihre Handlungen haftbar zu machen sind und erst recht nicht dafür verurteilt werden können. Nach einem Schubs auf einem Spielplatz verklagte – jeweils vertreten durch die Eltern – ein Mädchen einen Jungen. Letzterer, zum Zeitpunkt des Vorfalls neun Jahre alt, ist nun auch tatsächlich verurteilt worden.

Mädchen erlitt eine Schädelprellung

Eben dieser Vorfall ereignete sich im März 2020 auf dem Spielplatz zwischen Hannah-Arendt-Weg und Helene-Stöcker-Straße. Dabei schubste der Junge das Mädchen vom Podest der dortigen Seilbahn. Das Mädchen stürzte und erlitt eine Schädelprellung, wie später im Krankenhaus diagnostiziert wurde. Zum Glück trug es keine dauerhaften Folgen davon. Jedoch hatte das Mädchen am nächsten Tag Geburtstag – an eine unbeschwerte Familienfeier war nicht zu denken. Genau dieser Aspekt spielt in der Urteilsbegründung eine nennenswerte Rolle. Aber der Reihe nach.

Auf die Einsichtsfähigkeit kommt es an

Stellvertretend für ihre Tochter verklagten die Eltern – die wiederum vertreten wurden durch den renommierten Marler Rechtsanwalt Siegmund Benecken – den neunjährigen Jungen. Gut ein Jahr später hat ein Richter am Amtsgericht Recklinghausen den inzwischen Zehnjährigen jetzt zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 200 Euro zuzüglich Zinsen verurteilt.

In der Urteilsbegründung macht der Richter deutlich, dass es bei der Bewertung des Sachverhalts allein auf die Frage angekommen sei, ob ein Kind dieses Alters die Gefährlichkeit seines Tuns vorhersehen konnte und die nötige „Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns“ hatte. Dass beides so zutraf, daran hatte das Gericht nach der mündlichen Vernehmung keinen Zweifel. Dass der Junge dabei angab, er habe das Mädchen nicht verletzen wollen, sei nicht von Belang, so der Richter. Dass der Junge sich sofort bei dem Mädchen entschuldigte, wertete der Richter vielmehr als Beleg dafür, dass ihm bewusst war, dass der Schubs von dem Spielgerät „eine gewisse Gefährlichkeit“ aufwies.

Kinder waren objektiver als ihre Erziehungsberechtigten

Der Richter lässt in der Urteilsbegründung aber auch einen anderen Aspekt nicht unerwähnt: Die Folgen des Vorfalls seien von den beiden Kindern objektiver und „mit weniger negativen Emotionen“ wahrgenommen worden als von ihren jeweiligen Erziehungsberechtigten.

Letztendlich sprach der Richter dem Mädchen 200 Euro zu. Er machte deutlich, dass man sich dabei an der Bagatellgrenze bewege. Allein die Verletzungen hätten ein Schmerzensgeld nicht unbedingt gerechtfertigt. Aber der Umstand, dass ein Kind eine Schädelprellung anders wahrnimmt als ein Erwachsener, und der Zusammenhang mit dem Geburtstag am Folgetag hätten dann doch ein geringes Schmerzensgeld gerechtfertigt.

Prozesskosten höher als das Schmerzensgeld

Dieses muss – wenn man es genau nimmt – der verurteilte zehnjährige Junge zahlen. Umgekehrt stehen die 200 Euro konkret dem verletzten Mädchen zu, nicht den Eltern.

Das Mädchen als Klägerin muss übrigens laut Urteil

71 Prozent der Kosten des Rechtsstreits tragen, was die erstrittenen 200 Euro deutlich übersteigt. Der ganze Vorgang wird nur dadurch nicht zum „Verlustgeschäft“, dass die Eltern laut Rechtsanwalt Benecken eine Rechtsschutzversicherung besitzen. Diese übernimmt die Prozesskosten.

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