
Der Beton ist abgeplatzt, Moniereisen liegen frei, der Rost ist auf dem Vormarsch. Mit kritischem Blick wandern die Augen von Jörg Bröker über die Bausubstanz der Brücke an der Straße „Auf dem Acker“ in Marl-Hamm. Es ist nass, kalt und glitschig unter der Brücke. Direkt neben ihm rauscht der Sickingmühlenbach. Mit viel Gefühl klopft der 61-jährige Bauingenieur mit seinem Hammer den Beton ab. Der Fachmann vom Zentralen Betriebshof der Stadt Marl (ZBH) sieht sich bestätigt: „Diese Brücke ist marode, sie muss abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.“
Brückenbauwerke sind in Deutschland zum Problem geworden. Die gesprengte Talbrücke Rahmede der Autobahn 45 und die plötzlich eingestürzte Carolabrücke über die Elbe in Dresden sind nur zwei prominente Beispiele, die zu Ärger und Verunsicherung geführt haben. Aber wie sieht es in Marl aus? Gibt es auch hier einen Sanierungsstau, drohen massive Verkehrsbehinderungen?

„Ich kenne alle 68 Brücken in Marl, für die wir als Stadt der Baulastträger sind, wie meine Westentasche“, sagt Jörg Bröker: „Jede Brücke wird laufend beobachtet, einmal im Jahr findet eine Besichtigung durch den ZBH statt, alle sechs Jahre eine Hauptprüfung und drei Jahre nach jeder Hauptprüfung eine einfache Prüfung.“ Bröker betont: „Diese 68 Brücken werden nach einer DIN-Norm geprüft, mit den Hauptuntersuchungen beauftrage ich ein Ingenieurbüro, die einfachen Prüfungen führe ich persönlich durch, das ist mir wichtig.“
Für den Einsturz der Carolabrücke in Dresden am 11. September 2024 machen Experten heute Korrosion an qualitativ minderwertigem Spannstahl verantwortlich. „Wir haben schon 2018 eine Liste problematischer Spannstahl-Sorten bekommen und unsere Brücken daraufhin untersucht“, so Jörg Bröker: „An der Brücke Rottstraße über die Bahn zwischen Alt-Marl und Polsum wurden wir fündig.“ Der Brückenexperte betont: „Wir haben umgehend reagiert, die Brücke mit Doppel-T-Trägern verstärkt und eine Ablastung vorgenommen, schwere Fahrzeuge dürfen die Brücke nicht mehr passieren.“
Neue Brücken kosten mehrere Millionen Euro
„Bei uns gibt es keinen Sanierungsstau, wir handeln zeitnah und konsequent“, betont ZBH-Chef Michael Lauche. Tatsächlich wird der Betriebshof im kommenden Jahr sowohl die marode Brücke „Auf dem Acker“ als auch die Loemühlenbachbrücke an der Heyerhoffstraße abreißen und durch einen Neubau ersetzten. „Die Maßnahmen werden zusammen mehrere Millionen Euro kosten und etwa ein Jahr dauern, die Mobilität der Bürger und der Rettungsfahrzeuge in dem Bereich bleiben gewährleistet“, so der ZBH-Chef. Grundhaft saniert werden 2025 die Fußgängerbrücken über die Herzlia-Allee, über die Hervester Straße sowie in Teilen die Forumsplatte am Marler Stern, das mit 3150 Quadratmetern größte Brückenbauwerk im Stadtgebiet.

Wesentlich problematischer beurteilt der Kreis Recklinghausen die Unterhaltung seiner 18 Brückenbauwerke im Marler Stadtgebiet. Sie liegen überwiegend im Außenbereich, führen häufig über Lippe, Kanal, über Bahnlinien oder Bäche und sind Teil einer Kreisstraße mit entsprechend hoher Verkehrsbelastung.
Verkehr Richtung Münsterland gerät in Gefahr
Auf Anfrage unserer Redaktion mit dem Fokus auf Marl gibt eine Kreissprecherin unumwunden zu: „Es gibt bei den Brücken des Kreises einen Sanierungsstau.“ Vor allem Verbindungen von Marl Richtung Münsterland könnten so in Gefahr geraten. Der Kreis nennt als Gründe dafür knappe finanzielle und personelle Ressourcen sowie die hohe Auslastung von Planungs- und Gutachterbüros sowie von ausführenden Firmen. Zuletzt musste der Kreis die Brücke Dorfstraße/Buerer Straße über die Lippe Richtung Dorsten-Hervest durch eine Interimsbrücke ersetzen, um den Verkehr weiter fließen lassen zu können.
„Die Brücken des Kreises im Marler Stadtgebiet haben eine andere Dimension, da ist alles aufwendiger und teurer“, zeigt ZBH-Experte Jörg Bröker Verständnis: „Das ist eine ganz andere Hausnummer.“
Die Stadt Marl gerät jetzt in die bilanzielle Überschuldung und unter die Kontrolle der Kommunalaufsicht. Sie muss eisern sparen. Lässt sich die intensive Pflege der Brücken im Stadtgebiet dann überhaupt noch durchhalten? ZBH-Chef Michael Lauche bleibt optimistisch: „Brückensanierungen sind ein unverzichtbarer Teil unserer Verkehrssicherungsmaßnahmen, dafür wird der Landrat die Mittel nicht verweigern, bei unseren Brücken wird es auch künftig keinen Sanierungsstau geben.“