Klein, aber oho
Kaffee, Schokolade oder Kunsthandwerk – „wir verkaufen Waren aus fairem Handel“, erzählt Christa Stenzel. „So erhalten die Menschen, die die Produkte herstellen, einen gerechten Lohn und werden nicht ausgebeutet.“ Die 74-jährige Recklinghäuserin arbeitet im Weltladen des Gasthauses – der Hausnummer eins an der Steinstraße.
In diesem Jahr feiert die Einrichtung ihr 25-jähriges Bestehen. Stenzel gehört von Anfang zu dem heute 42-köpfigen Team, das ausschließlich aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht. „Ferner wird uns Kleidung gespendet, die wir für kleines Geld verkaufen“, berichtet Daniela Hake. „Und manchmal stricken unsere Kolleginnen und Kollege auch etwas.“ Sie nimmt ein Paar Kindersocken aus dem Regal. „Mit den Geldern, die wir einnehmen, unterstützen wir soziale Projekte.“ Hake arbeitet seit vergangenem Winter an der Steinstraße. „Ich bin seit einem Jahr Rentnerin und wollte etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfangen“, erzählt die 63-Jährige. „Hier habe ich die Möglichkeit dazu und lerne obendrein nette Menschen kennen.“
Schräg gegenüber liegt die Gymnasialkirche. Das kleine Gotteshaus wurde ab 1658 als Ordenskirche errichtet und ist der Jungfrau Maria geweiht. Der schlichte Bau war Mittelpunkt des religiösen Lebens der hiesigen Franziskanerbrüder, die im 1676 erbauten Kloster neben der Kirche lebten. Chorraum und Altäre sind aus dem 18. Jahrhundert. Seit der Säkularisation – der Trennung von Staat und Kirche – ist das Gotteshaus mit dem Gymnasium Petrinum verbunden.
Modegeschäfte sind hier ebenso zu finden wie ein Buchhändler
Von hier aus führt die Steinstraße kerzengerade stadtauswärts. Fachwerkhäuser schmiegen sich an Bauten neueren Datums. Modegeschäfte sind hier ebenso zu finden wie ein Buchhändler. Deko-Artikel werden den Passanten angeboten, eine Bäckerei verkauft Brot sowie Brötchen und Restaurants bewirten ihre Gäste. Und auf einer Bank unter einem Baum lässt sich eine Frau ihr Eis schmecken.
In einem Fachwerkhaus untergebracht ist das Jugendcafé Areopag. „Komm rein!“, fordert ein Schild am Eingang auf. „Das Areopag gibt es seit rund zwölf Jahren“, erzählt Bildungsreferentin Franziska Goßheger. „Es gehört zu den drei katholischen Kirchengemeinden Recklinghausens.“ Die Arbeit fuße auf zwei Säulen: Im offenen Café können Schülerinnen und Schüler eine Pause machen und ihre Freizeit verbringen. „Vor Corona sind regelmäßig bis zu 20 Leute am Tag vorbeigekommen“, berichtet Goßheger. „Doch dann hatten wir aufgrund der Pandemie lange geschlossen – zurzeit kommen nur noch wenige.“ Außerdem werden an der Steinstraße Kinoabende oder eine offene Bühne angeboten.
„Wir sind offen für alle“
Die zweite Säule sei die pastorale Arbeit. „Zum Beispiel veranstalten wir Gottesdienste mit Musik, die von Jugendlichen für Jugendliche organisiert werden“, erklärt Goßheger. „Und ich führe Aktionen mit Schulklassen durch, die die Gemeinschaft stärken sollen.“ Auch wenn das Areopag eine Einrichtung der katholischen Kirche ist: „Wir sind offen für alle“, sagt Franziska Goßheger, „nur eben mit katholischem Touch“.
Wenige Meter bevor die Steinstraße auf den Wall trifft, weist eine Bodenplatte aus Bronze auf das ehemalige Steintor hin. Durch die Stadtpforte führte über die heutige Steinstraße ein wichtiger Handelsweg aus dem Rheinland und Köln. Der Ursprung des Namens ist nicht vollständig geklärt: Vielleicht war es das erste steinerne Tor Recklinghausens. Oder es verweist auf den Stein, an dem über verurteilten Straftätern „der Stab gebrochen“ wurde. Bis zum frühen 20. Jahrhundert wurde mit der symbolischen Geste ein Todesurteil besiegelt. Von hier aus wurden die Verurteilten über den „Diebespfad“, heute Tiefer Pfad, zur Hinrichtungsstätte in Hochlar geführt. Die Bronzeplatte empfängt seit Mai 2019 Besucherinnen und Besucher der Altstadt. Auf ihr wird die „Bildungsstadt Recklinghausen“ bildlich dargestellt.
Nach wenigen Schritten ist das Ende der Steinstraße erreicht. Zur einen Seite erklimmt der Herzogswall eine Anhöhe, zur anderen fällt der Königswall gen Rathaus in eine Senke ab. Geradeaus führt die Hertener Straße nach Hochlar. An einer Häuserwand auf der gegenüberliegenden Seite taucht das Steintor abermals auf. Das Gemälde von Harry Maria Eggert zeigt eine mittelalterliche Szene samt Stadtpforte – diese entspringt allerdings der Fantasie des Künstlers.