Marlies Greve (FDP): Leitwölfin möchte Familienbild modernisieren

Redakteur
Möchte für die FDP den Wahlkreis Recklinghausen I gewinnen: Marlies Greve an der Skulptur "Große Liegende" am Ruhrfestspielhaus. © Meike Holz
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Das Schlimmste am Wahlkampf? Marlies Greve muss nicht lange überlegen. „Die Fotos.“ Mittlerweile habe sie sich daran gewöhnt, von zig Laternen in Waltrop, Castrop-Rauxel und Recklinghausen zu blicken, erklärt die 41-Jährige. „Aus Liebe zur Freiheit“, lautet der Sinnspruch, der ihre Plakate ziert.

Für den Termin mit der örtlichen Presse hat Marlies Greve in aller modischen Freiheit zum gelben Blazer gegriffen. Als Ort für das Treffen hat die Recklinghäuserin den Stadtgarten in ihrem Heimatort ausgesucht. „Wenn ich hier bin und spazieren gehe, ist das wie eine kleine Auszeit“, sagt Greve. Ein paar junge Familien bevölkern die Rasenfläche vor dem Ruhrfestspielhaus an diesem sonnigen Nachmittag.

Marlies Greve weiß, dass die Chancen für sie überaus gering sind, am 26. September tatsächlich den Sprung nach Berlin zu schaffen. Gewänne sie für die Freidemokraten das Direktmandat, wäre das eine Sensation im Wahlkreis. Gleiches gälte für einen Einzug über ihren Listenplatz. Greve rangiert auf Platz 46 der Landesliste. Im aktuellen Bundestag hat die FDP insgesamt nur 80 Sitze. Woraus bezieht die Frau angesichts dieser Aussichten ihre Motivation?

Porträts der Bundestagskandidaten

Marlies Greve (FDP) ist nach Frank Schwabe (SPD), Michael Breilmann (CDU) und Nils Stennei (Grüne) die vierte Bundestagskandidatin für den Wahlkreis 121 (Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Waltrop), die wir in unserer Porträt-Reihe vorstellen.

Wieder kommt die Antwort schnell: „Ich möchte der Partei und meinen Kolleginnen und Kollegen auf den vorderen Listenplätzen über die Zweitstimmen ein möglichst gutes Ergebnis liefern.“ Natürlich schiele sie auf die Umfragen, die für die FDP zwischen zehn und 13 Prozent der Wählergunst vorhersagen. Ihr Ziel: „Ich möchte am Ende nicht unter dem bundesweiten Wert liegen.“ Lieber darüber.

„Wir wollen nicht draufhauen“

Greve hofft, dass die Freidemokraten von der Schwäche der anderen Parteien profitieren. Die FDP hat keinen Kanzlerkandidaten, der bei Büchern oder dem Lebenslauf geschummelt haben könnte. Für das Afghanistan-Debakel trägt die FDP keine Regierungsverantwortung.

„Trotzdem wollen wir nicht auf die anderen draufhauen“, sagt die Kandidatin. Ein neues, moderneres Familienbild, sagt Marlies Greve, liege ihr besonders am Herzen. „Eine bessere gesetzliche Grundlage für Patchworkfamilien etwa.“

Auf dem Grünen Hügel fühlt sich Marlies Greve wohl. © Meike Holz © Meike Holz

Sie selbst ist ledig und noch kinderlos. Beruf und Partei – dort investiert Marlies Greve gerade ihre Zeit. Im Wahlkampf ganz besonders. Nach dem Treffen im Stadtgarten, zwischen Tierpark und Ruhrfestspielhaus, stehen am selben Tag noch zwei weitere Termine an. Die Jungliberalen veranstalten ein Pokerturnier. Ein Verein in Recklinghausen-Süd hat zum Grillfest eingeladen. In allen drei Städten ihres Wahlkreises ist die FDP-Politikerin derzeit beinahe täglich anzutreffen. In Castrop-Rauxel hat sie die Berufsschule besucht, in Waltrop mag sie die Altstadt mit ihrem „ganz eigenen Charme“. Auch wenn sich die Probleme der Innenstädte selbst dort zeigten. Immerhin: In Recklinghausen sehe es nach Aufbruch aus. Nachdem einstige Flaniermeilen wie die Breite Straße nahezu komplett brachlagen, tue sich wieder etwas.

Sie hat sich hochgearbeitet – ohne Studium

Marlies Greve sieht sich als Frau, die sich hochgearbeitet hat – ohne Studium. Von der pharmazeutisch-technischen Angestellten mit zusätzlicher kaufmännischer Ausbildung zur Mitarbeiterin eines Softwarehauses für Apotheken.

Warum tritt sie ausgerechnet für die FDP an? Das habe sich vor elf Jahren auf einer Veranstaltung der Partei in Bonn ergeben. Sie sei als Gast da gewesen und mit verschiedenen Leuten ins Gespräch gekommen. Seit dreieinhalb Jahren führt Marlies Greve den Recklinghäuser FDP-Stadtverband. Dort liegt der Frauenanteil mit 23 Prozent sogar noch etwas unter dem Bundesschnitt von 24 Prozent. „Derzeit“, sagt die Kandidatin, „haben wir nur männliche Neumitglieder.“ In ihre Rolle als Chefin eines überwiegend männlichen Stadtverbandes habe sie sich erst mal „reinfuchsen“ müssen.

Seit dreieinhalb Jahren leitet Marlies Greve die Recklinghäuser FDP. © Meike Holz © Meike Holz

Marlies Greve will mit Klischees aufräumen, auch mehr Frauen in die Politik oder besser noch in ihre Partei locken. Noch so ein Klischee: Ist die FDP eine Partei der Besserverdiener? Marlies Greve winkt ab. „Sie müssten mal meinen Kontostand sehen.“

„Umweltpolitik ohne Verbote“

Noch eine Frage: Besetzt die FDP klassische konservative Positionen, die die CDU unter Angela Merkel aufgegeben hat? Parteichef Christian Lindner hat sich mehrfach für eine Begrenzung von Zuwanderung ausgesprochen. Marlies Greve sieht im Programm der FDP keine nennenswerten konservativen Inhalte. Vielmehr gehe es neben dem moderneren Familienbild auch um den Klimaschutz, um eine „Umweltpolitik ohne Verbote“. Es fallen weitere Schlagwörter: Digitalisierung, Entbürokratisierung.

Der Tag beginnt früh für die FDP-Kandidatin. Um fünf Uhr klingelt der Wecker – nicht nur im Wahlkampf. „Manchmal ignoriere ich das Klingeln einfach“, gibt Marlies Greve zu. Den Wahlkampf, dem sie ihren Jahresurlaub geopfert hat, scheint sie trotz der vielen Termine zu genießen. Sie sagt, sie mag es, neue Wege zu beschreiten. Es sei schön, mit so vielen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ihren Parteichef Christian Lindner hat sie auch schon auf einer Veranstaltung getroffen. „Ich weiß allerdings nicht, ob er sich an mich erinnert.“ Vielleicht ist das nach dem 26. September anders.