Nahversorgung gegen Naturschutz

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Schön anzusehen: Die Baumallee von der Sachsentraße hoch zum ehemaligen Suderwicher Bahnhof. © Jörg Gutzeit
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Es ist gar keine Frage, dass viele Suderwicher den Neubau eines Netto-Marktes an der Ecke Sachsen- und Friesenstraße aus praktischen Erwägungen begrüßen würden. Nahversorgung ist nur dann im reinsten Wortsinne Nahversorgung, wenn man das betreffende Geschäft schnell erreichen kann. Und da könnte ein Netto-Markt an dieser Stelle sehr hilfreich sein, zumal die Tage des alten Netto-Marktes gleich um die Ecke am Becklemer Weg gezählt sind. Hier soll Wohnbebauung entstehen, und außerdem verfügt der Markt nur noch über nicht mehr zeitgemäße 550 Quadratmeter Verkaufsfläche. Doch es bleibt die Frage: Wie hoch ist der Preis für eine angenehme Nahversorgung?

Zu hoch, finden einige Suderwicher und auch Nicht-Suderwicher. Denn mit dem Netto-Markt kommt auch die Säge. Die gesamte Allee von der Sachsenstraße hoch zum Standort des einstigen Suderwicher Bahnhofs soll geopfert werden, und das sind nicht einfach irgendwelche Gewächse. „Die Bäume dort sind 125 bis 150 Jahre alt“, behauptet Andrea Graf.

Treffen am kommenden Dienstag

Letztere wohnt in Spazierweite und dürfte vielen aus dem Ortsteil als die Frau bekannt sein, die sich als Stachel im Fleisch der Recklinghäuser Wohnungsgesellschaft entpuppt hat, weil sie nicht müde wurde, auf die vermeintliche Bodenverseuchung am Becklemer Weg hinzuweisen. Dort, wo Wohneinheiten entstehen und der Netto-Markt verschwinden soll.

Aber Andrea Graf ist keine Einzelkämpferin: Die Recklinghäuser Baumschutzgruppe hat sich ebenfalls des Themas angenommen, und auch die Lokale Agenda und der örtliche Naturschutzbund (Nabu) sind im Boot. Und alle zusammen sind wild entschlossen, zivilen Ungehorsam zu entwickeln. Für den kommenden Dienstag wurde ein Treffen aller Beteiligten vereinbart, um sich vor Ort ein Bild zu machen und das weitere Vorgehen abzustimmen.

So sieht das Gebiet aus der Vogelperspektive aus. © RVR

Denn die Zeit drängt in gewisser Weise: Der sogenannte vorhabenbezogene Bebauungsplan hat in der jüngsten Ratssitzung eine der letzten Hürden übersprungen, derzeit werden die Planunterlagen öffentlich ausgelegt. Zudem sind sie auf der Internetseite der Stadt einsehbar. Noch bis zum 27. August können Einwände formuliert werden.

Lang ist’s her: So sah das Gebiet um 1926 aus der Vogelperspektive aus. © RVR

Grundsätzlich soll an dieser Stelle ein Netto-Markt entstehen, der mit 1050 Quadratmetern Verkaufsfläche nahezu doppelt so groß wie sein „Vorgänger“ sein soll. Darin integriert ist ein rund 73 Quadratmeter großer Backshop. Hinzu kommen etwa 80 Stellplätze. Das alles braucht Platz, und den erhält man nur, wenn die angesprochenen Bäume fallen.

Für Ersatz muss gesorgt werden

In der Tat ist der dort vorhandene Baumbestand so üppig, dass er offiziell teils als Wald und, teils als Allee eingestuft wird. Wird letztlich entschieden, dass die Bäume weichen müssen, so muss der Bauherr auf alle Fälle für Ersatz sorgen. Der Waldanteil muss 1:1 ersetzt werden, und dafür gäbe es ausreichende Flächen, sagt die Verwaltung. Den Alleenanteil muss man lediglich im Verhältnis 1:3 ersetzen, das könne im Bereich Mollbeck geschehen. Der Stadtteil Suderwich hätte davon also nicht allzu viel, da bleibt als Trostpflaster nur die festgesetzte Dachbegrünung auf rund 1400 Quadratmetern. Dadurch und mit zusätzlicher Begrünung auf dem Parkplatz sollen Verdunstungseffekte so gering wie möglich gehalten werden.

So ist der neue Netto-Markt geplant. © Stadt RE

Das wird die aktiven Baumschützer allerdings kaum zufriedenstellen können, die vom Naturschutzbeirat des Kreises Recklinghausen noch Rückenwind erhalten. In der ersten Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung hatte dieser sich wie folgt geäußert: „Seitens des Naturschutzbeirates werden Bedenken gegen die Planung erhoben. Es wird nicht klar, wieso der Nettomarkt auf einer Fläche errichtet werden muss, auf der umfangreiche Rodungen notwendig werden und Alleebäume verschwinden müssen. Es werden keinerlei Angaben darüber gemacht, ob Alternativstandorte mit geringerem Eingriff möglich wären.“ Ende offen.

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