Anne Freytags „Reality Show“: Gesellschaftskritik on Point

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Schon ihr erster Polit-Thriller "Aus schwarzem Wasser" war ein voller Erfolg. Jetzt legt Bestseller-Autorin Anne Freytag mit "Reality Show" nach. © Studio Tasca
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Die Weihnachtstage sind noch nicht so lange her, sodass wir uns gedanklich nochmal gut in diese Zeit zurückversetzen können. Stellt Euch also mal vor, Ihr hättet an Heiligabend mit Euren Familienmitgliedern auf der Couch gesessen und statt – wie üblich – einen Weihnachtsfilm im Fernsehen zu schauen, läuft zur besten Sendezeit plötzlich auf allen Sendern das Gleiche: die „Reality Show“ in der die einflussreichsten Menschen Deutschlands vor laufender Kamera für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Was genau passiert, liegt in den Händen der Zuschauenden.

Auflehnen gegen rechte Strukturen

Genau dieses Szenario zeichnet Anne Freytag in ihrem aktuellen Roman „Reality Show“. Die Story spielt ein paar Jahre in der Zukunft, die Corona-Pandemie gehört der Vergangenheit an (halleluja!) und die deutsche Regierung wurde neu gewählt. Das Land wird nun von Politikern mit stark rechts ausgeprägter Gesinnung regiert.

Die Freunde Philip, Julian und Erich können und wollen mit diesem Ergebnis nicht leben. Sie sind wütend darüber, dass die Wahl zwar bei den Bürger:innen liegt, im Grunde aber ganz andere Menschen darüber entscheiden, wie gewählt und regiert wird.

Geschäftsleute werden zur Rechenschaft gezogen

Also beginnen die drei Studenten einen Plan zu schmieden, in dem all die profitgierigen Geschäftsleute, die für ihren Erfolg über Leichen gehen und den Verbrauchern Lügen auftischen, für ihre Taten büßen müssen. Live im Fernsehen.

Gemeinsam mit Freundinnen und Kommilitonen bilden die drei eine Gruppe, die gemeinsam die „Reality Show“ auf die Beine stellt.

Die unfreiwilligen Kandidat:innen dieser Show werden an Heiligabend auf gewaltsame Weise in ihren Wohnungen und Anwesen festgenommen und in Sträflingsanzüge gesteckt. Vor laufender Kamera bekommen sie – nach der Offenlegung ihrer Verbrechen – die Möglichkeit zu gestehen oder sich rauszureden. Das Publikum entscheidet anschließend über das Strafmaß.

„Reality Show“: Hochspannung zur Primetime auf 464 Seiten. © dtv Verlag

Unübersichtliches Figuren-Konzept

An sich ist die ganze Thematik rund um die Show super spannend. Man kann sich gut in die Story hineinversetzen, fiebert mit den Entwicklungen des Plans mit und die Gesellschafts- und Kapitalismuskritik ist wirklich on Point.

Allerdings gibt es für mich ein großes Manko an der Geschichte und das sind die unübersichtlich vielen Figuren. Man bekommt die Story nämlich nicht nur aus Sicht von Julian, Philip und Erich erzählt, sondern auch aus Sicht ihrer Mitstreiter, aller zehn Show-Teilnehmer, der Ermittler und verschiedenster Zuschauer.

Natürlich tragen alle Sichtweisen irgendwo zum Gesamt-Geschehen bei, gerade, weil es spannend zu sehen ist, wie unterschiedlich die Zuschauer reagieren (von purer Zustimmung und Freude über die Selbstjustiz bis hin zur Ablehnung des Showkonzepts) und was den Teilnehmenden durch den Kopf geht.

Man kommt allerdings aufgrund der Masse an Namen völlig durcheinander. Zumal es neben den Perspektivwechseln auch immer wieder Zeitsprünge gibt.

„Haus des Geldes“-Charakter

Wenn man davon einmal absieht, ist „Reality Show“ aber wirklich ein gelungener Roman. Die drei Strippenzieher sind sympathische Jungs und man fiebert ähnlich wie bei „Haus des Geldes“ aufgeregt mit, ob der teils zum Scheitern verurteilte Plan, am Ende wirklich aufgeht.

Anne Freytag: „Reality Show“

dtv Verlag, 464 Seiten

ISBN: 978-3-423-26303-0, Preis: 17 Euro

Und außerdem, und das ist wahrscheinlich mit das Wichtigste, regt die Story wirklich zum Nachdenken an, da die beschriebenen Verbrechen der Unternehmer keineswegs unrealistische Hirngespinste sind, sondern sich mit Sicherheit genauso tagtäglich auch in unserer realen Welt abspielen.