
In Malmö hat am Samstagabend das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) begonnen. Schwedens Kronprinzessin Victoria wünschte allen viel Glück. Überschattet wird der größte Musikwettbewerb der Welt diesmal von Protesten gegen die Teilnahme Israels. Erneut versammelten sich in der südschwedischen Stadt Tausende Menschen zu einer Kundgebung gegen das israelische Vorgehen im Gaza-Krieg und die Zulassung des israelischen Beitrags zum ESC. Ob es möglicherweise noch Protestaktionen in der Final-Show gibt, war zunächst völlig unklar. Israels Sängerin Eden Golan hatte zum Halbfinale Pfiffe und Buhrufe aus dem Publikum erlebt.
Unmittelbar vor dem Finale war bekannt geworden, dass der niederländische Kandidat Joost Klein vom Wettbewerb ausgeschlossen worden ist. Hintergrund war nach Angaben des niederländischen Fernsehsenders Avrotros eine aggressive Geste Kleins gegenüber einer Kamerafrau, die ihn gefilmt hatte. Er habe die Frau den Angaben zufolge aber nicht berührt. Was genau in der Auseinandersetzung passiert ist, ist noch unklar. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen. Der Startplatz der Niederlande, die Nummer 5, wird beim Finale nun leer bleiben.
Damit sind noch 25 Länder im ESC-Finale dabei. Deutschland ist mit dem Sänger Isaak und dem Lied „Always On The Run“ vertreten. Deutschland tritt in diesem Jahr auf Startnummer 3 an. Als Kommentator für das deutsche Fernsehen führt 2024 erstmals Thorsten Schorn durch den Final-Abend. Er tritt die Nachfolge von Peter Urban an, der 25 Jahre lang das deutsche Publikum durch den ESC gelotst hatte.
Das Erste und der Spartensender One übertragen das Spektakel seit 21.00 Uhr. Zuschauerinnen und Zuschauer können per Anruf, SMS und mit einer App (mit)abstimmen. Die Siegerin oder der Sieger wird erst gegen 1 Uhr Sonntagfrüh feststehen.
Bei Protesten am Donnerstag waren bereits tausende Menschen auf den Straßen und protestierten, während Israels Künstlerin Eden Golan beim zweiten Halbfinale in der Malmö Arena mit ihrem Song „Hurricane“ auf der Bühne stand. Die Sängerin muss aus Sicherheitsgründen eng von Personal begleitet werden. Die Proteste verliefen nach Angaben der Polizei friedlich. Der ESC ist erklärtermaßen eine unpolitische Veranstaltung, aber oft im Sog der Weltpolitik.
We have our 26 Grand Finalists. And now we have the running order they'll perform in on Saturday night. #Eurovision2024 pic.twitter.com/kvHRfDHg9U
— Eurovision Song Contest (@Eurovision) May 10, 2024
Streit um die Teilnahme Israels
Für Golan schmälerte der Gegenwind nicht den Erfolg – sie sicherte Israel einen Platz im Finale. Israel holte dazu bei den Quoten der Buchmacher nach dem Auftritt mächtig auf. Das gilt traditionell als ein sicheres Zeichen, dass sie auch bei den Zuschauerinnen und Zuschauern im Finale gut ankommen wird und gibt ihr damit eine realistische Chance auf einen Sieg.
Norwegische Punkte-Ansagerin zieht sich zurück
Wenige Stunden vor dem Finale machte dann die norwegische Punkte-Ansagerin einen Rückzieher. Die Sängerin Alessandra Mele begründete den Schritt in einem Video bei Instagram mit dem israelischen Vorgehen im Gazastreifen. „Derzeit findet ein Genozid statt“, sagte die 21-Jährige und rief dazu auf, sich von „Liebe zur Wahrheit“ führen zu lassen.
Das ESC-Motto „United by Music“ (Deutsch: Vereint durch Musik) stimme mit ihrer Motivation, Musik zu machen, überein, sagte Mele. „Aber derzeit sind diese Worte nur leere Worte.“ Die Sängerin, die auch italienische Wurzeln hat, hatte voriges Jahr „mit Queen of Kings“ für Norwegen den fünften Platz beim ESC erreicht. Für Mele sollte die Moderatorin Ingvild Helljesen vom Sender NRK einspringen.
In Malmö fand nach Informationen von NRK sowie des schwedischen Senders SVT ein Krisentreffen statt. Die Vertreter von Irland, der Schweiz und Griechenland waren zuvor nicht zur Flaggenparade erschienen. Bambie Thug aus Irland, der die Teilnahme der israelischen Sängerin Eden Golan wiederholt kritisiert hatte, verpasste auch die Probe am Samstag. Bei Instagram schrieb Bambie Thug, es habe eine „Situation“ gegeben, als die Künstler die Bühne zur Flaggenparade betreten wollten. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) als ESC-Veranstalterin teilte Medienberichten zufolge mit, die Lage zu prüfen.
Malmö hat ein Antisemitismus-Problem
Das ist die Großwetterlage. Doch auch die Auswahl des Austragungsortes macht es den Veranstaltern nicht leicht. Malmö habe ein Problem mit Antisemitismus, sagen Experten. Im Oktober wurde dieses Problem noch einmal sichtbarer.
„Es gab diese Karawanen mit palästinensischen Fahnen, die schrien und jubelten. Karawanen von Autos fuhren durch die Stadt und feierten nach den Angriffen“, sagt Fredrik Sieradzki von der jüdischen Gemeinde in Malmö im dpa-Interview. Seit dem Geschehen im Oktober habe es zahlreiche Demonstrationen gegen Israel gegeben. „Die Intensität wird mit den Demonstrationen parallel zum Eurovision Song Contest noch zunehmen.“
Malmö ist eine kompakte Stadt. „Man kann das Problem also auf der Straße sehen, was man in Stockholm oder Göteborg nicht so sehr kann“, sagt Björn Westerström. Er ist Antisemitismus-Forscher, betreibt aktiv Aufklärungsarbeit. Malmö hat etwa 360.000 Einwohnerinnen und Einwohner, darunter viele mit palästinensischer Abstammung. Hier ist bekanntermaßen eine Anlaufstelle für Migration in Schweden. Es gibt eine große arabische Community.
Experte Westerström betont, dass die israelfeindliche und schnell dann auch judenfeindliche Stimmung nicht zwingend von bestimmten Gruppen ausgehe. Es seien Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen. „Sie sehen den Antisemitismus nicht. Sie sind so politisch geworden, sie sind so eingenommen, dass sie den Hass, den sie benutzen, nicht erkennen.“
Christer Mattsson, Professor für Antisemitismusforschung in Göteborg sagt, Malmö leiste schon länger Aufklärungsarbeit, habe in den letzten Jahren zahlreiche Gegenmaßnahmen ergriffen. „Antisemitismus ist aber nicht etwas, das innerhalb weniger Jahre gelöst wird.“ Malmö sei dieser Tage eine Art Brennpunkt der Welt.
Sicherheitsmaßnahmen verstärkt
Die Polizei ist seit Beginn des ESC mit einem Großaufgebot präsent. Auch Verstärkung aus Dänemark und Norwegen wurde angefordert. Eine öffentliche ESC-Party wurde abgesagt. „Ich weiß mit Sicherheit, dass die Stadt gut vorbereitet ist. Allerdings weiß man, dass es immer etwas Unerwartetes geben kann“, sagt Experte Mattsson.
Was nicht so recht aufkommen will, ist wohl die Vorfreude. „Ich glaube, dass viele Juden im Allgemeinen darauf warten, dass die Sache vorübergeht, und hoffen, dass es ohne größere Zwischenfälle abläuft“, sagt Sieradzki. „Der Eurovision Song Contest sollte ein Fest der Kreativität, des Spaßes, der großartigen Musik sein. Aber Malmö wird ein Ort sein, an dem eine Menge wütender Gefühle auf der Straße gezeigt werden.“

Besonders große Chancen werden den Acts Baby Lasagna aus Kroatien („Rim Tim Tagi Dim“) und Nemo aus der Schweiz („The Code“) zugerechnet. Deutschland tritt in diesem Jahr auf Position 3 von 26 an, nach Schweden und der Ukraine und vor Luxemburg.
dpa