
Er tritt kontrolliert und zurückhaltend auf: In organgefarbener Warnjacke und mit Fahrradhelm – obwohl er gar nicht per Fahrrad angereist ist, sondern mit dem Auto vorgefahren wurde. Aber was zählt das schon – der Helm gehört wie die Kleidung zur Marke „Anzeigenhauptmeister“. Auch in Castrop-Rauxel gibt er sich so, wie seine Fans und Hater das von ihm aus den zahlreichen Videos und Reportagen in den Sozialen Medien gewohnt sind.
Niclas Matthei ist binnen Wochen zum Internet-Star geworden. Gelungen ist ihm das durch sein ungewöhnliches und polarisierendes Hobby: Parkverstöße erfassen und der Stadt oder Gemeinde melden. Das ist für jeden Bürger problemlos möglich, zum Beispiel über die App „weg.li“, die auch der Anzeigenhauptmeister nutzt. Dort wird der mutmaßliche Parkverstoß mit Fotos dokumentiert. Das Ordnungsamt kann dann darauf zugreifen und ein Ticket ausstellen.

Bei seinem ersten Besuch in der Europastadt lässt es sich der 18-Jährige erwartungsgemäß nicht nehmen, auch hier Falschparker anzuschwärzen. „Lange suchen muss ich nicht“, sagt Niclas Matthei. Am Westring und auf der Daimlerstraße beginnt er seine Tour. Vor dem abgebrannten Hagebaumarkt gilt eingeschränktes Halteverbot. Dort zückt der selbsternannte Anzeigenhauptmeister sein Handy. Hier lauert ein Verstoß, denkt er offensichtlich.
Dann zögert er jedoch. „Allerdings fehlt da das Zusatzzeichen für den Seitenstreifen.“, Dort darf der Pkw also problemlos stehen. „Tragisch, aber ist halt so“, sagt Niclas Matthei. „Da muss die Stadt Castrop-Rauxel das vielleicht mal nachbessern.“
Der Anzeigenhauptmeister bei seiner Knöllchentour durch Castrop-Rauxel:
Nicht viel weiter dann aber ein Treffer. Ein Wagen mit Recklinghäuser Kennzeichen steht auf einer gezackten Linie. „Grenzmarkierung heißt das“, sagt Niclas Matthei. Der Paragraf der Straßenverkehrsordnung, der das Parken auf einer solchen Fläche untersagt, nennt er wie aus der Pistole geschossen: „299. Das kostet 10 Euro“, so der Anzeigenhauptmeister.
Verstöße melden als Geschäftsmodell
Wie viel ernstgemeintes Bemühen um Verkehrssicherheit und öffentliche Ordnung hinter dem Handeln des Anzeigenhauptmeisters steckt und wie viel davon Show ist, bleibt sein Geheimnis. Niclas Matthei lässt sich nicht in die Karten schauen. Auf Fragen antwortet er nur das Nötigste, bleibt äußerst schmallippig.
Das Autohaus „Darmas Drive Gebrauchtwagenwelt“ hat ihn eingeladen, als Stargast bei der offiziellen Eröffnung des Standorts an der Daimlerstraße 1. Wer möchte, bekommt ein Foto und ein Autogramm mit dem Anzeigenhauptmeister. Auch im Kontakt mit den Fans bleibt er emotionslos, aber höflich. Er drückt ihnen recht lieblos ein Autogramm in die Hand, das diese dann in die Kamera halten können, während sie neben der Internet-Berühmtheit posieren. Bitte recht freundlich! Und der nächste, bitte.

Für das Autohaus lohnt sich das, sonst hätte man Niclas Matthei nicht eingeladen. Für den Anzeigenhauptmeister lohnt es sich noch mehr. Durch das Anecken, durch den Gegenwind, ja, auch durch den Hass generiert er Aufmerksamkeit und Aufträge wie diesen. Der Preis, den er dafür zahlt, ist hoch.
Sobald er in seiner Montur mit Warnjacke und Helm unterwegs ist, wird er erkannt. „Ey, Anzeigenhauptmeister“, riefen sie ihm auch auf Castrop-Rauxels Straßen aus den Autos zu, als sie ihn bei der Tour am Westring erspähten. Manche möchten nur Videos für Social Media drehen, was Matthei in der Regel zulässt. Aber nicht jeder nähert sich ihm mit friedlichen Absichten. Bereits mehrfach wurde er nach gewaltsamen Auseinandersetzungen und Attacken im Krankenhaus behandelt. Permanent begleiten ihn zwei Personenschützer.
Der Anzeigenhauptmeister im Interview:
Dennoch gibt er vor, dass das alles an ihm abperle. Der Gegenwind sei ihm egal beziehungsweise „wurscht“, wie er es in einem unverkennbar ostdeutschen Dialekt formuliert. Auf jeden Fall sei sein Tatendrang ungebrochen. In Castrop-Rauxel ist der Anzeigenhauptmeister seinem Ziel, in jeder Stadt mindestens einen Falschparker gemeldet zu haben, jedenfalls ein Stück näher gekommen.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 8. Juni 2024.