
Aysel Cetin aus Castrop-Rauxel bezog am Mittwoch (4.9.2024) Stellung zum CDU-Antrag bezüglich des EBG-Eklats mit der Palästina-Flagge einer Schülerin bei der Zeugnisübergabe am 28.6.2024. Cetin ist Teil der „Integrationsliste“ im Integrationsrat von Castrop-Rauxel und dessen Vorsitzende. Wir zitieren sie im Wortlaut.
„Als Integrationsliste sowie als Vorsitzende des Integrationsrates nehmen wir mit großer Sorge den aktuellen Antrag der CDU, gegengezeichnet von dem Bundestagsabgeordneten Michael Breilmann, zur Kenntnis, der an Populismus kaum zu überbieten ist und Grenzen überschreitet, indem eine Schülerin an den Pranger gestellt wird. Wir befinden uns in einer Zeit, in der einerseits rechtspopulistische Parteien und rechtsextreme Gruppen in den vergangenen Jahren in Deutschland an Einfluss gewonnenen haben und andererseits islamistische Radikalisierung zunimmt. Vor diesem Hintergrund sollte der Fokus der demokratischen Parteien darauf liegen, der Spaltung innerhalb der Gesellschaft, der Ausgrenzung, den Anfeindungen und der Radikalisierungen entgegenzuwirken.
Statt auf einen verantwortungsvollen Umgang zu setzen, hat es sich Herr Breilmann zur Aufgabe gemacht, seine Energie dafür einzusetzen, weiter Stimmung zu verbreiten und gegen eine Schülerin zu hetzen, die bei der Zeugnisvergabe eine Palästina-Fahne trug. Sehr ironisch ist die Einleitung des Antrages, worin von Instrumentalisierung gesprochen wird, obschon es die CDU selbst ist, die das Thema mittlerweile seit Juni 2024 instrumentalisiert.
Es mag über die Angemessenheit des Verhaltens der Schülerin trefflich diskutiert werden. An dieser Diskussion möchte sich die Integrationsliste jedoch nicht beteiligen, da es an dieser Stelle kein Richtig oder Falsch gibt, sondern es vielmehr einer differenzierten Betrachtung bedarf. Genau an dieser Differenzierungsfähigkeit mangelt es offensichtlich Herrn Breilmann und auch allen Parteimitgliedern, die diesen Antrag unterstützen. Hetzen, diffamieren, stigmatisieren und kriminalisieren ist und war nie eine Lösung, sondern führt nur zur weiteren Ausgrenzung und Radikalisierung.
Der Konflikt zwischen Israel und Palästina hat eine lange Geschichte voller Schmerz, Verlust und Leid. Seit Beginn des Konflikts gibt es unschuldige Opfer auf beiden Seiten unter dem Deckmantel von Religionen zur Befreiung eines Volkes einerseits und Bewahrung des Existenzrechts eines Volkes andererseits. Alle Jahre wieder kommt es schließlich zu einseitigen Solidaritätsbekundungen in der Bevölkerung und auch in der Politik, was nicht selten zu Diskussionen, Empörung und verbalen Angriffen untereinander führt.
Seit dem erneuten Beginn des Konfliktes nach den menschenverachtenden Taten der Hamas und die Reaktion in der Bevölkerung, hat mich als Vorsitzende des Integrationsrates zunehmend das Phänomen beschäftigt, dass auf beiden Seiten die Einsicht fehlt und teilweise auch radikale Ansichten als Rechtfertigung gesehen werden. Dabei bin ich auf den Begriff Ambiguitätstoleranz gestoßen. Hierbei handelt es sich um eine essenzielle Fähigkeit für unsere Demokratie. Ambiguitätstoleranz bedeutet, dass eine Person die Fähigkeit besitzt, Unsicherheit, Zweideutigkeit und Komplexität in einer Situation zu akzeptieren und damit umzugehen. Auch an dieser essenziellen Fähigkeit mangelt es offensichtlich Herrn Breilmann.

Die Hamas ist ohne Zweifel eine Terrororganisation, und die Ermordung von Menschen hat nichts mit einem Freiheitskampf zu tun. Der Zweck heiligt niemals die Mittel! Das gilt für beide Seiten! Auf der anderen Seite verfügt Israel aktuell über eine Regierung, mit einer rechtspopulistischen Gesinnung, welche nicht weniger brutal gegen die Palästinenser vorgeht. (…) Die Siedlungsgewalt ist eine ebenso nicht zu relativierende Form von Terror. Es gab wiederholt Angriffe der Siedler, die Dörfer der Palästinenser abgebrannt haben.
Jetzt werden Kritiker auch an dieser Stelle laut aufschreien, dass das aktuelle Massaker nicht mit der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik zu vergleichen sei. Nun unsere Frage an Sie Herr Breilmann: Zählt für Sie nicht jedes Leben gleich? Warum gilt man nach Ihrer Ansicht als radikal, wenn man gleichermaßen Mitgefühl für die Menschen in Gaza einfordert? Rechtfertigt Kampf gegen Antisemitismus für Sie, Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren?
Wie es der Zeit-Autor Heinrich Wefing in ‚Darf man Leid aufrechnen‘ auf den Punkt gebracht hat: ‚Jedes Leben zählt gleich viel. Das ist das Fundament des Konzepts der Menschenrechte. Das Leben jedes Kindes in Israel hat ebensolches Gewicht wie jedes Leben eines Kindes in Gaza. Wer sich nur für die israelischen Opfer interessiert oder nur für die palästinensische, der interessiert sich in Wahrheit überhaupt nicht für menschliches Leben.‘
Wir appellieren an die Vernunft der CDU sowie an alle anderen Parteien und fordern sie auf, sich verantwortungsvoll mit dem Thema auseinanderzusetzen. (…) Wir bieten gerne ein gemeinsames Gespräch an. (…) Wir können den Konflikt nicht lösen, sollten jedoch auch nicht dazu beitragen, dass innerhalb unterschiedlicher Kulturen durch Spaltung und Ausgrenzung das Zusammenleben aufgrund eines Schwarz-Weiß-Denkens weiter erschwert wird. Stattdessen sollten wir Brücken bauen, Dialog fördern und nach gemeinsamen Lösungen suchen.“