
Micha lebt mit einer Sehbehinderung. Für die Ausstellung #ECHT in Dorsten spricht er in einem Interview mit Stefanie Marzian von HerausForderung e.V. über die systemische Diskriminierung, die er erfahren hat.
„Es war nie einfach. Von außen wird oft nur die Sehbehinderung gesehen, nicht aber die Person dahinter“, erzählt er. Früh habe er gemerkt, dass er mehr als die Einschränkung sei.
Die vielen Fragen zu Hilfsmitteln und dem Anders-Sein stehen im Gegensatz zu anderen Eigenschaften häufig im Vordergrund. „Es ist diese ständige Reduktion auf ein einziges Merkmal, das uns als Menschen mit Behinderung betrifft – und das ist eine Form der systemischen Diskriminierung“, erklärt er.
Ständige Herausforderung
Für Micha stellt dieser Umstand eine ständige Herausforderung dar. Er fühlt sich oft gezwungen, sich zu erklären und mit Erwartungen auseinanderzusetzen, die mit seiner Behinderung zusammenhängen.
Besonders stört ihn, dass er oft unterschätzt wird. „Dabei bin ich vieles – ein kreativer Kopf, ein Freund, jemand mit vielseitigen Stärken. Aber in der Öffentlichkeit oder im Job bin ich oft der ‚Sehbehinderte‘ und nicht der Micha, der jemandem helfen, eine Herausforderung meistern oder ein Projekt umsetzen kann.“

Seine Einschränkung werde dabei von der Gesellschaft in den Vordergrund gestellt, während seine Talente und Stärken in den Hintergrund rücken.
Besonders im beruflichen Kontext bereitet ihm das Probleme. „Es ist nicht einfach. Der Einstieg in den Jobmarkt oder das Arbeiten in bestimmten Bereichen wird oft durch diese systemische Reduktion erschwert“, erklärt er.
„Ich will nicht, dass der Fokus immer auf dem liegt, was ich nicht kann, sondern darauf, was ich alles kann.“
Erst Behinderung, dann Mensch
Micha wünscht sich, dass die Gesellschaft erkennt, was hinter Menschen mit Behinderungen steckt. Systemische Diskriminierung entsteht für ihn, wenn Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert werden.
Besonders belastend ist das für Micha in Situationen, in denen er sich nicht erklären möchte. Die Menschen, die ihm Hilfe anbieten, tun das aus Freundlichkeit, unterstellen ihm aber gleichzeitig, dass er etwas nicht alleine kann.
„Es ist nett gemeint, aber es fühlt sich an, als ob man ständig in eine Schublade gesteckt wird, die nichts mit dem eigentlichen Menschen zu tun hat. Aber ich versuche, diesen Momenten mit Geduld zu begegnen und den Fokus auf das zu legen, was ich selbst leisten kann.“
Miina hat auch eine Sehbehinderung
Die elfjährige Miina ist zielstrebig. Sie möchte Autorin werden, auch wenn sie eine Sehbehinderung hat. „Ich schreibe gerade ein Buch über eine Monsterwelt. Ich mag es, mir neue Welten auszudenken“, sagt sie.
Für ihre Probleme hat sie eine Lösung gefunden: Arbeitsblätter in der Schule bekommt sie im DIN-A3-Format. Eine Kamera filmt die Tafel, damit Miina auf ihrem Laptop alles sehen kann. „Meine Lehrer helfen mit, das klappt super. Da ist nichts ungerecht“, sagt sie.
Auch ihre Mutter bestätigt, dass grundsätzlich alles funktioniert. Aber auch nur, weil Miinas Mutter permanent Anträge stellt. „Wir versuchen seit Monaten, einen funktionierenden Laptop für Miina zu bekommen. Es sind unzählige Formulare, Gutachten, Rückfragen.“
Dass die Familie für notwendige Dinge kämpfen muss, ist für sie systemische Diskriminierung. „Wenn die Eltern nicht alles geben, bleibt das Kind auf der Strecke“, meint Miinas Mutter.

Im Rahmen der Ausstellung #ECHT sind Interviews mit Dorstenern entstanden, die von systemischer Diskriminierung betroffen sind. Nach der Ausstellung werden die Inhalte in einer Serie der Dorstener Zeitung veröffentlicht.
Stefanie Marzian vom Verein HerausForderung leitet und organisiert das Projekt zusammen mit der Jugendberufshilfe Dorsten.