Aufklärung an Dortmunder Schulen „Ist das normal?“ Was Jugendliche Sexualpädagogin Mareike Wellner fragen

Mareike Wellner ist Sexualpädagogin der Awo. Sie gibt Aufklärungs-Workshops an Dortmunder Schulen.
Mareike Wellner ist Sexualpädagogin der Awo. Sie gibt Aufklärungs-Workshops an Dortmunder Schulen. © Privat
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Sexualität ist anders als Mathe, sagt Mareike Wellner. Anders als Mathe interessiert sexuelle Aufklärung eigentlich alle, mit denen sie spricht. Und das sind in aller Regel Dortmunder Schülerinnen und Schüler. Mareike Wellner ist Sexualpädagogin bei der Awo, seit zehn Jahren gibt sie Aufklärungs-Workshops in Schulen.

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Neuerdings bietet sie diese Seminare jedoch auch beim Projekt „Angekommen“ an, das zugewanderte Schülerinnen und Schüler an Dortmunder Berufskollegs fördert. Um dieses Projekt wiederum kümmert sich Markus Bräuer. Gemeinsam sprechen sie darüber, was Dortmunder Jugendliche am meisten interessiert und ob es Unterschiede zwischen deutschen und zugewanderten Jugendlichen gibt.

Bräuer:

Sie geben Workshops im Projekt „Angekommen“ zum Thema Aufklärung. Eigentlich ist das doch Aufgabe der Schulen, oder nicht?

Wellner: Das stimmt. Schwerpunktmäßig ist das Thema im Biologieunterricht oder in den Naturwissenschaften angesiedelt und ist in den Lehrplänen auch fest verankert. Aber die Herangehensweise ist häufig eher wissenschaftlich und der Schwerpunkt liegt auf der Biologie.

Wir behandeln Fragestellungen, die über das rein Naturwissenschaftliche hinausgehen und reden übers Flirten, über verschiedene sexuelle Orientierungen oder über Pornos.

Für uns ist es vielleicht auch leichter, darüber zu sprechen. Wir beschäftigen uns ausschließlich mit dem Thema Sexualität und haben da möglicherweise eine geringere Hemmschwelle als andere Menschen. Für die Schüler wird es leichter, da wir sie nicht benoten müssen und sie uns in der Regel nur einmal sehen – da ist es nicht so schwer, auch unangenehmere Fragen zu stellen.

Bräuer: Im Projekt „Angekommen“ arbeiten Sie mit Zugewanderten. Ist so ein Workshop mit Zugewanderten etwas anderes als mit Nicht-Zugewanderten?

Wellner: Ja und Nein. Bei Jugendlichen, die noch nicht so lange in Deutschland leben, geht es häufiger darum, die Körperteile zu benennen. Das ist dann immer auch Sprachunterricht. Und – je nach Herkunftsland – kann es vorkommen, dass überhaupt kein Schulwissen zum Thema vorhanden ist; wobei das bei deutschen Schülern auch manchmal der Fall ist.

Manchmal kommen noch herkunftsspezifische Themen wie die weibliche Genitalbeschneidung dazu. In einer Klasse mit Zugewanderten ist die Wahrscheinlichkeit deutlich größer, dass betroffene Personen dabei sind. Trotzdem sind die Fragen häufig ähnlich.

Bräuer: Was interessiert die Jugendlichen besonders?

Wellner: Es geht immer darum: Ist das normal? Bin ich normal? Ist das gesund? Wie funktioniert partnerschaftliche Sexualität und Sex bei Menschen mit anderer sexueller Orientierung?

Manchmal ist Selbstbefriedigung auch ein Thema, wobei das unter Mädchen immer noch ein Tabu-Thema ist. Die haben oft Fragen zur Menstruation: Ist das normal, wenn meine Tage eine Woche ausbleiben oder ich diesen oder jenen Ausfluss habe?

Markus Bräuer arbeitet bei
Markus Bräuer arbeitet bei „Angekommen“, einem Projekt für zugewanderte Schüler an Dortmunder Berufskollegs. © Privat

Bräuer: Was ist das Besondere an einem Workshop zur Aufklärung?

Wellner: Besonders ist, dass es eigentlich jeden Menschen interessiert. Das ist anders als bei Mathe. Wir behandeln Inhalte, von denen jeder betroffen ist und profitieren kann. Sexualität ist ein sehr umfassendes Thema und hat so viel mit dem Leben zu tun. Wenn die Schüler über ihre Gefühle reden, wenn wir über schwierige Lebenssituationen sprechen, hat das viel mit emotionaler Bildung und Kommunikation zu tun.

Besonders ist aber auch, dass es immer wieder Hemmungen, Scham und Widerstände gibt. Dadurch bekommt das Fach eine andere Qualität.

Bräuer: Gibt es eine Frage, die Ihnen nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist?

Wellner: Es gibt immer mal wieder Fragen, die zeigen, dass noch sehr wenig Wissen vorhanden ist: Kann man von Analverkehr schwanger werden? Wie gut sind Tampons als Verhütungsmittel geeignet?

Aber so etwas richtig Spektakuläres fällt mir jetzt nicht ein. Vermutlich liegt das daran, dass ich den Job schon seit zehn Jahren mache und nur noch wenig als ungewöhnlich empfinde.

Bräuer: Wie sind Sie zu diesem Job gekommen?

Wellner: Das hat was mit meinem eigenen Aufklärungsunterricht zu tun. Der war nicht so prickelnd. Als ich mich dann später, mit Anfang 20, nochmal mit meinem eigenen Körper und seinen Funktionen auseinandergesetzt habe, habe ich gemerkt, wie viel ich in der Schule zwar gelernt, aber nie auf mich selbst bezogen habe. Da dachte ich, dass das doch besser zu vermitteln sein muss. Und so habe ich angefangen, mich im Bereich Sexualpädagogik fortzubilden. Das passte auch gut zu meinem Studium der sozialen Arbeit.

Bräuer: Wie oft sind Sie an den Schulen unterwegs?

Wellner: Ungefähr zweimal in der Woche. Dabei sind Förderschulen, Hauptschulen, Sekundarschulen, Gesamtschulen und Gymnasien. Wir starten mit unseren Workshops ab der siebten Klasse, zu einer Zeit also, in der für die Schüler das Thema relevant wird. Wir waren auch schon in der fünften Klasse, aber da sind die Interessensunterschiede zwischen Mädchen und Jungs oft noch sehr groß. Die Jungs wollen in dem Alter lieber Fußball spielen, als über Sexualität sprechen.

Bräuer: Der Workshop findet in getrennten Gruppen statt, richtig?

Wellner: Ja, genau. Wenn es sich einrichten lässt, bin ich mit einem Kollegen unterwegs. Die Jugendlichen können sich so in die Gruppen sortieren, wie es für sie gut passt. Dann stellt jeder eher die Fragen, die ihn interessieren, und ist weniger befangen. Manchmal kommt es jedoch auch in reinen Jungs – oder Mädchengruppen zu einer Dynamik, in der sich niemand mehr traut, etwas zu fragen.

Bräuer: Wie hoch schätzen Sie den Beratungsbedarf in Dortmund ein?

Wellner: Als sehr hoch. Wir haben mehr Nachfragen als Angebote, aber leider fehlen uns die finanziellen Mittel, um mehr anbieten zu können. Dabei wäre es in dieser Zeit, wo das Thema Sexualität in den Medien, speziell im Internet, immer präsenter wird, besonders wichtig. Die Mädchen erzählen mir ständig, dass sie sich über die sozialen Medien sexualisierten Übergriffen ausgesetzt sehen.

Wir brauchen ein Bildungsangebot für möglichst viele Schüler. Sexualität ist ein Thema, das unsere Aufmerksamkeit verdient.

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