Beschluss nach emotionaler Debatte Unterkunft für Hertener Wohnungslose wird für viel Geld saniert

Die Wohnungslosenunterkunft an der Backumer Straße.
Die Wohnungslosenunterkunft an der Backumer Straße. © Frank Bergmannshoff
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Für 715.000 Euro bauen sich Vermögende im Edel-Baugebiet „Waldbogen“ zwischen Westerholt und Buer Einfamilienhäuser vom Feinsten. Die Stadt Herten will einen ähnlichen Geldbetrag in die heruntergekommene Wohnungslosenunterkunft an der Backumer Straße investieren, die nach der Sanierung immer noch weit von einem Neubau-Zustand entfernt wäre – und ohne ein Sozialkonzept auch schnell wieder vergammeln könnte. Da verwundert es nicht, dass die politische Debatte zu diesem Thema sehr kontrovers und darüber hinaus auch noch höchst emotional geführt wurde.

Vorweg ist zu erwähnen, dass es die ganze Diskussion ohne die Ratsfraktion der Linken wohl gar nicht gegeben hätte. Denn die Stadtverwaltung hatte dem Rat ein sachlich-nüchternes Sanierungskonzept zum Beschluss vorgelegt, das die sozialen Aspekte ausklammerte. Die Mehrzahl der heute aktiven Politiker wiederum kannte weder die abseits am Rand der Ried gelegene Unterkunft noch die lange Vorgeschichte des Themas.

„Schande für Rat und Verwaltung“

Mit einem Eilantrag rückte die Linke-Fraktionsvorsitzende Martina Ruhardt all diese Aspekte am Tag der Ratssitzung ins allgemeine Bewusstsein. Sie erinnerte daran, dass bereits vor neun Jahren die damaligen Politiker die Unterkunft besichtigt hatten, und schon damals seien die Zustände verheerend gewesen. Ruhardt: „Es beschämt mich selbst und es ist eine Schande für Rat und Verwaltung, dass wir dieses Thema seit 2012 aus den Augen verloren haben.“ Ruhardt bemängelte auch die jetzige Herangehensweise: „Wir reden nur über eine bauliche Sanierung. Es gibt kein Konzept für die Betreuung der Menschen, wir hören nichts über die Situation von Frauen.“

Seit 2012 schon 100.000 Euro in das Gebäude investiert

Zwar erwiderte der städtische Sozial-Beigeordnete Hermann Pieper, der bis vor wenigen Wochen auch noch Leiter des städtischen Immobilienbetriebs HIB war, dass die Stadt seit 2012 sehr wohl rund 100.000 Euro in das Gebäude investiert habe. Und auch er sei der Auffassung, dass man ein Betreuungskonzept brauche.

Doch da nahm die Diskussion schon Fahrt auf. Daniela Müscher (TOP-Partei): „Da wird eine Bauruine für eine Dreiviertelmillion Euro saniert, aber am Ende steht dort im Grunde noch das gleiche Gebäude. Und ohne engmaschige Betreuung der Bewohner sieht alles in zwei Jahren wieder genauso aus wie heute.“ Dietmar Weinhardt (AfD) wunderte sich, dass der Rat ein Betreuungskonzept erst einfordern muss: „Ich hätte erwartet, dass ein solches Konzept direkt mit eingeplant ist.“ Und Sebastian Scheer (CDU) forderte, das Thema Wohnungslosenunterkunft in jener Arbeitsgruppe zu behandeln, die sich seit Jahren mit der Standortsuche für eine neue Flüchtlingsunterkunft beschäftigt.

Nicht mit Flüchtlingen in einen Topf werfen

Dieser Vorstoß provozierte direkt eine neue Diskussion darüber, ob man Menschen, die aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen ihre „Wohnfähigkeit“ verloren haben, in einen „Topf“ werfen könne mit geflüchteten Menschen aus Krisenregionen. Apropos Wohnfähigkeit: Der Forderung aus der Politik, man müsse den Menschen aus der Unterkunft an der Backumer Straße jetzt schnell menschenwürdige Wohnungen zur Verfügung stellen, erteilte der Beigeordnete Hermann Pieper vorsichtig eine Absage: Anders als bei Mietwohnungen für Flüchtlinge habe man in der Vergangenheit keinen Vermieter finden können, der bereit war, seine Räume für nicht wohnfähige Menschen zur Verfügung zu stellen.

Linke, SPD und Grüne setzen Sanierung durch

Letzten Endes beantragte die Linke, dass das Gebäude schnellstens saniert und parallel dazu ein Betreuungs- und Instandhaltungskonzept erarbeitet wird. Dieser Antrag wurde mit Unterstützung von SPD und Grünen beschlossen. CDU und TOP-Partei hatten sich gegen eine kostspielige Sanierung ohne vorhandenes Betreuungskonzept ausgesprochen und für einen Neubau an zentralerer Stelle plädiert.

Abriss und Neubau an der Backumer Straße wären im Übrigen nicht möglich gewesen. Das bisherige Gebäude genießt Bestandsschutz und darf saniert werden. Ein Neubau wäre dort aber nicht möglich, da die Ried heute aus planungsrechtlicher Sicht ein sogenannter Außenbereich ist, in dem nur wenige Ausnahmen zulässig sind, etwa land- und forstwirtschaftliche Bauvorhaben.

Schimmel und keine Heizung

Das vor dem Zweiten Weltkrieg errichtete Doppelhaus für damals zwei Parteien pro Hälfte wird seit den 1990er-Jahren als Obdachlosenunterkunft von der Stadt Herten genutzt. Inzwischen ist es so marode, dass eine sehr umfassende Sanierung erforderlich ist. Fenster, Türen, Elektro, Böden, Sanitär – alles muss abgebrochen und erneuert werden. Ebenfalls nötig sind Putzarbeiten, eine Schimmel-Sanierung und der Einbau einer Heizung – eine solche gibt es bisher nämlich nicht.

In einem ersten Schritt wird nun die rechte, seit einigen Jahren leerstehende Haushälfte saniert. Sechs Monate Bauzeit und eine Fertigstellung im ersten Quartal 2022 werden angepeilt. Im zweiten Schritt wird die linke, aktuell bewohnte Haushälfte geräumt und saniert. Dauer: ebenfalls sechs Monate. Kostenkalkulation für das Gesamtprojekt: 550.000 Euro zuzüglich 30 Prozent Risikopuffer (=165.000 Euro) für unvorhergesehene Arbeiten.

2279 Übernachtungen im Jahr 2020

Nach Abschluss der Arbeiten stehen Räume für 15 Wohnungslose zur Verfügung. Diese werden dringend benötigt. Im Jahr 2020 nutzten 31 verschiedene Menschen die Unterkunft an insgesamt 2279 Tagen beziehungsweise Nächten (im Schnitt 73,5 Tage pro Person.) 2019 waren es 35 verschiedene Menschen an insgesamt 2540 Tagen (im Schnitt 72,6 Tage pro Person).

Stadt ist zur Hilfe verpflichtet

Mit einem Rückgang der Zahlen ist nicht zu rechnen. Denn die Zahl der Zwangsräumungen in Herten hat sich in den vergangenen drei Jahren bei Werten zwischen 75 und 78 eingependelt. Das sind statistisch 1,5 Zwangsräumungen pro Woche. Die Gründe dafür sind häufig, dass Menschen die Fähigkeit verlieren, eine Wohnung ordnungsgemäß zu nutzen, instandzuhalten und zu bezahlen, wenn sie durch Job-Verlust, Krankheit oder andere Krisen in Schwierigkeiten geraten. Die Stadt ist dann gesetzlich verpflichtet, den Betroffenen Schutz zu gewähren.

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