Ruhrfestspiele Ein solches Theater schafft sich selbst ab

Laientheater pur: die „Konferenz der Abwesenden“ von Rimini Protokoll. Das Foto entstand nicht bei den Ruhrfestspielen im Theater Marl, sondern bei der Uraufführung tags zuvor in Dresden. © Sebastian Hoppe
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Schon vor zwei Jahrzehnten hat das Regie- und Performance-Kollektiv Rimini Protokoll dem herkömmlichen Bühnenspiel den Rücken gekehrt. Als Musterschüler des zeitweilig von Heiner Goebbels geleiteten Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaften stoben Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel hinaus aus der Theater-Enklave, um Menschen aus repressiven oder politisch suspekten Verhältnissen als Experten des Alltags eine Bühne zu geben.

Konventionelles, Langweiliges war nie dabei

Eine kaum zu überblickende Fülle an Produktionen ist seither entstanden. Und alle, die bisher in der Ruhrregion zu sehen waren, faszinierten. Konventionelles, Langweiliges gar, war nie dabei.

Das ist ein erstaunlich flacher Durchhänger

Ausgerechnet mit der Rückkehr der Ruhrfestspiele zum Live-Theater leistete sich das Regie-Trio unter dem Label Rimini Apparat einen erstaunlich flachen Durchhänger. Zwei Stunden lang gründelte es in den Untiefen des Laientheaters. Unter Verzicht auf jegliche Faszination des Spiels. Das Publikum sah sich einem Theater ausgesetzt, das sich selbst abschafft – im positiven wie im negativen Sinne. Dass es applaudierte, war zweifelsohne auch der Erleichterung der Rückkehr nach sieben Monaten weitgehend brach liegenden Kulturlebens zuzuschreiben.

Das wirkte müßig, ja reichlich unreflektiert

Aus der Taufe gehoben hatte Rimini Protokoll die „Konferenz der Abwesenden“ tags zuvor in Dresden, der „Kulturstadt“, in der Neue Rechte und bis heute nicht in der Gegenwart angekommene Rechtskonservative fröhlich Urständ feiern. Mag sein, dass die Frage nach Identität und Authentischem dorthin gut passt. Bei den Ruhrfestspielen wirkt es müßig, ja reichlich unreflektiert.

Das Trio liefert lediglich ein Konzept

Das Trio liefert lediglich ein Konzept und vorbereitete Texte. Das Haus stellte eine schäbige Sofa-Ecke samt Regal, Zimmerpflanzen, einen Hamlet-Totenschädel als überflüssige Pathos-Beigabe und ein Rednerpult zur Verfügung. Das Bühnenpersonal hat das Publikum zu liefern. Freiwillige vor, lautet die Devise ohne Rücksicht auf Sprach- und Spielkompetenz. Die wird an diesem Abend in Marl nur ein einziges Mal überzeugend eingelöst.

Das Publikum darf über das Thema abstimmen

Das Konzept, ohne jegliche Vorbereitung abwesende Konferenzteilnehmer zu doubeln, knüpft an den klimabedingt gebotenen Verzicht auf überflüssige Flugreisen und an die abwesende Anwesenheit bei Zoom-Konferenzen in Zeiten der Pandemie an. So erleben wir eine Zuschauerin als Russin Tamara aus dem fernen Mirny. Dort hat der Natur-Raubbau auf der Suche nach Diamanten ein riesiges Loch hinterlassen. Von Schwarzen Löchern und der eigenen Implosion durch einen Schlaganfall erzählt ein Physiker-Double. Von der „Abwesenheit der Gerechtigkeit“ eine Frau, die einen Verteidiger mimt. Das Publikum darf über das Thema abstimmen. Es entscheidet sich für das serbische Massaker in Srebrenica und gegen den Dieselskandal, Cum-Ex und den Völkermord in Ruanda: Zur Avatar-Stimme der unsichtbaren Moderatorin Nadja Stübinger erzählt der 96-jährige Sally alias Salomon aus Israel von seiner Lüge, sich als Volksdeutscher auszugeben. Sie rettete ihm während des Nazi-Terrorregimes das Leben.

Am Ende bleibt ein schales Nichts

Ein Soldat aus Mogadischu erzählt vom doppelten Spiel als Spion. Eine gestrandete Ostafrikanerin prangert das Leben als Nummer in einem griechischen Camp an. Eine Kosmonautin trainiert für zehn Tage im All ihre Abwesenheit. Den provokativen Höhepunkt liefert ein durchgeknallter Amerikaner. Er ruft dazu auf, auf Fortpflanzung zu verzichten: „Wir Menschen sind tödlich für diesen Planeten.“ Prompt erscheint eine Projektion des leeren Theaters. Rimini Protokoll durchkämmt in der „Konferenz der Abwesenden“ alles und jedes. Am Ende bleibt ein schales Nichts.

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