
Man kennt sie aus Film, Fernsehen, Social Media oder aus dem Bekanntenkreis: Pärchen, bei denen eindeutig etwas nicht stimmt. Pärchen, bei denen der oder die eine dominant und abwertend wirkt, den Partner oder die Partnerin herumkommandiert, alles vorgibt, sie oder ihn beleidigt und in die Schranken weist. Das macht häufig schon beim Zusehen fassungslos.
Als Wertung liest man dann oft von „Toxischen Beziehungen“. Doch gibt es solche Beziehungen immer nur im Leben anderer? Oder ist man sogar selbst Teil einer Beziehung, die einem nicht guttut?
Beziehungen haben wir mit jedem im Umfeld
Ganz allgemein: Wir haben mit jeder Person eine Beziehung. Ob partnerschaftlich, freundschaftlich, familiär, beruflich oder auch nur ganz flüchtig. Man pflegt einen gewissen Umgang mit den Nachbarn, einen anderen zu seinem Zahnarzt, wieder einen anderen zur Mutter und einen komplett eigenen zur festen Partnerin oder zum festen Partner. Das ist auch normal und richtig so. Selbst wenn man nur seine engsten Freunde untereinander betrachtet, ist jede Beziehung individuell.
Der Begriff „Toxische Beziehung“ ist vergleichsweise neu und erst seit 2019 im alltäglichen Sprachgebrauch. „Toxisch“ bedeutet „giftig“ – und Gift kann uns bekanntlich töten. Dass eine Beziehung uns tötet, ist zwar ein Extrembeispiel, aber leider dennoch kein Einzelfall. Und schon weit vorher wird es gefährlich genug und geht an die Substanz.
Durch die inflationäre Benutzung des Begriffs wird gegenwärtig viel zu schnell behauptet, dass eine Beziehung toxisch sei. Der Partner geht fremd, die beste Freundin hat ein Geheimnis weitererzählt, der Bruder war zum wiederholten Male unzuverlässig – das sind zwar alles unschöne Eigenschaften oder Vorkommnisse, aber keine Indikatoren für eine toxische Beziehung.
Vom perfekten Kennenlernmoment zum wahrgewordenen Albtraum
Stattdessen macht die sich durch ein klar erkennbares Abhängigkeitsverhältnis aus. Eine Partei übernimmt die Führung, die andere Partei gehorcht. Diese Form der Beziehung ist eine Entwicklung und nie ab der ersten Begegnung schon derartig auffällig, sonst würden wir sie nämlich nach ein oder zwei Treffen gar nicht fortführen.
Im Gegenteil: Besonders in partnerschaftlichen toxischen Beziehungen – das sind immerhin diejenigen, für die man die meiste Zeit aufbringt und aus der es sich am schwersten lösen lässt – startet der Kontakt meist mit einer Ladung voller schöner Momente. Experten sprechen vom sogenannten „Love Bombing“. Man wird mit Komplimenten, vielleicht sogar Geschenken überhäuft, das Verliebtsein ist äußerst intensiv, alles fühlt sich riesengroß an, man verbringt kaum einen Moment getrennt, obwohl man sich erst wenige Tage oder Wochen kennt.
Wenn der oder die Auserwählte gerade zu Anfang sehr übertrieben mit positiven Signalen umgeht, ist eigentlich etwas faul. Ganz logisch betrachtet lernt man sich gerade erst kennen und müsste erstmal überprüfen, ob das Miteinander passt oder nicht. Doch ungefähr nach drei Monaten – kurioserweise verlaufen nämlich toxische Beziehungen oft in gleichen Zeitrhythmen ab – kippt die schöne Stimmung. Der eine Part der Beziehung ist mittlerweile wirklich verliebt und der andere wechselt in den dunklen Modus.
Auf einmal wird täglich kritisiert. Der Umgang mit Freunden wird verboten. Das Handy wird ohne Erlaubnis durchforstet. Der Job fordert viel zu viel Zeit und sollte besser gekündigt werden. Die Klamotten oder gar der Körper gefallen nicht mehr und müssen schleunigst verändert werden. Dinge werden behauptet, die nicht passiert sind – oder abgestritten, obwohl sie gestern erst genauso vorfielen. All diese Äußerungen kommen zunächst gut portioniert und dann in Massen.
Dabei wird geschickt manipuliert, um den anderen abhängig zu machen und möglichst kleinzuhalten. In den schlimmsten Fällen wird die Hand gehoben. Das Perfide: Droht der andere zu gehen oder beschwert sich, beginnt das sogenannte „Heiß-Kalt-Spiel“, auch „Nähe-Distanz-Spiel“ genannt. Komplimente und liebevolle Gesten werden wieder eingesetzt, aber nur solange wie nötig. Ist der Partner wieder verlässlich am Start, beginnt erneut die kalte Phase, die mit großer Wahrscheinlichkeit kälter ist als die vorige – und länger anhält, bis es eigentlich kaum noch warme, schöne Momente gibt.
Der einzige Ausweg
Solche Beziehungen verlaufen nach einem Schlüssel-Schlossprinzip. Zwei Parteien greifen ineinander und ergänzen sich, anders würde es nicht funktionieren. Der eine befiehlt, der andere macht. Allerdings ist man in der Opferrolle nicht dazu verpflichtet, ein Leben lang Opfer zu bleiben. Jede Beziehung ist freiwillig und kann mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand zu jeder Sekunde beendet werden. Das ist enorm wichtig zu wissen.
Enge Angehörige sind oft gute Beobachter und können zu Rate gezogen werden. Aber selbst, wenn die es nicht mitbekommen oder ähnlich wahrnehmen, sollte dem eigenen Gefühl vertraut werden.
Doch wie rette ich eine solche toxische Beziehung? Die bittere Antwort: leider gar nicht. Selten lassen sich komplexe Strukturen so lösen, dass beide weiterhin glücklich miteinander umgehen können. Menschen, die andere von sich abhängig machen möchten, haben oft tiefergehende, psychische Defizite, die man weder mit mehr Liebe und Zuneigung noch mit mehr Unterstützung für den jeweiligen löst.
Professionelle Hilfe suchen
Er oder sie muss das Problem selbst angehen, und zwar allein. Aber auch die gebrochene Partei sollte nach einem derartig einschneidenden Erlebnis eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, um keine posttraumatischen Belastungen zu tragen, sondern in eine neue, gesündere Beziehung zu starten.
Selbst die stärksten Persönlichkeiten können in eine solche Beziehungsfalle tappen. Ja, ich weiß, wovon ich rede. Wer sich also in meinem Text wiedergefunden hat, kann sich für 2022 vornehmen, zumindest zu reflektieren, ob er oder sie wirklich glücklich in der Beziehung ist. Viele haben Angst vor dem Alleinsein, dabei ist man es schon längst. Schlimmer wird’s nur für einen Moment. Glauben Sie mir.
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