Mit Qi-Gong aus den Depressionen Harald Hutter (56) spricht über Selbstheilung

Ein Mann und seine vier Hunde sind draußen
Harald Hutter geht jeden Tag mit seinen Hunden und seiner Frau an die frische Luft. Bewegung ist für ihn ein wichtiger körperlicher und seelischer Ausgleich. © Privat
Lesezeit

Harald Hutter ist ein groß gewachsener Mann, der Kopf ist kahl rasiert. Er trägt Laufschuhe, eine dunkle Cargohose und einen blauen Pullover mit einem Herz in Regenbogenfarben. Harald strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus, obwohl er viel mit sich selbst zu kämpfen hatte. Er atmet langsam, entspannt seinen Körper. Das hat er vor zwanzig Jahren durch Qi-Gong gelernt.

Mittlerweile unterrichtet er die Kunst der Meditation und Atemübung in Marl. „In der Gesellschaft gibt es zu wenig Ruhe. Deswegen praktiziere ich Qi-Gong, am liebsten in einer Gruppe“, erzählt er. „Ich habe vor sechs Jahren Flyer aufgehängt. Denn wenn ich Flyer aufhänge, muss ich meinen inneren Schweinehund überwinden“, erklärt er mit einem Lächeln auf den Lippen.

Harald Hutter macht Qi-Gong Bewegungen
Harald Hutter reguliert die Energien seines Körpers im Park am Sauerbruchkanal.© Vivien Caspers

Der Marler beschreibt sich als extrovertiert: „Ich war in meiner Kindheit in einem ungesunden Ausmaß allein und wurde einsam. Darum habe ich schon früh gelernt, den Kontakt zu Menschen zu suchen.“ Er wächst mit Eltern auf, die psychisch erkrankt sind. „Ich habe versucht, über meine Leistung gesehen zu werden, denn ich war schon als Kind ziemlich clever. Aber das hat nicht funktioniert“, erinnert sich Harald zurück.

„Dann habe ich mich in die Physik gerettet, weil sie so emotionsfrei und sicher war“, sagt er. „In den Vereinigten Staaten hätte ich als Physik-Professor arbeiten können, allerdings war mir die Familie viel wichtiger. Damit ich hier bleiben konnte, habe ich in der SAP-Beratung gearbeitet, um meine Familie zu ernähren“, erzählt Harald mit einem zufriedenen Ausdruck.

„In den Vorstellungsgesprächen habe ich direkt gesagt, dass ich keine Überstunden machen werde. Meine Kollegen haben teils 70 Stunden in der Woche gearbeitet und gefragt, warum ich nicht länger bleibe“, erzählt er. Er habe geantwortet, dass er Familie habe. „Wir auch“, sagten seine Kollegen. „Eben, finde den Fehler!“, habe er geantwortet. Bis heute hat er keine Überstunden gemacht.

„Ich brauchte Hilfe“

Trotzdem war Harald eine Zeit lang arbeitsunfähig. „Ich bin neurodivers und verarbeite Dinge anders, und hatte Depressionen. Ich brauchte Hilfe“, sagt er. Er habe mit den Ärzten auf Augenhöhe reden können, weil er seine Krankheit verstanden habe. Harald Hutter hat zudem für die Deutsche Gesellschaft für bipolaren Störungen einen Vortrag gehalten und war Vorsitzender in Selbsthilfegruppen.

Seit dem Jahr 2008 arbeitet er an der Technischen Universität Dortmund. „Im Bereich Chancengleichheit, Familie und Vielfalt, das gefällt mir gut“, ergänzt er und zeigt mit einem Grinsen seine lackierten Fingernägel.

Harald spielt mit seinen vier Hunden
Haralds Hunde aus der Tierrettung sind auch bei den Qi-Gong-Einheiten dabei.© Katrin Hutter

„Papa hast du Depressionen?“

Der 56-Jährige kann seine Gefühle genau benennen und spricht offen über sie, auch mit seiner Familie. Er hat zwei Söhne und eine Tochter. „Als mein Ältester drei Jahre alt war, hat er mich gefragt, ob ich Depressionen habe. Ich habe es ihm dann kindgerecht erklärt, denn Kinder sind unheimlich clever“, erzählt Harald. Dabei lächelt er und streicht über seinen Ehering.

Er habe von Anfang an versucht, seinen Kindern die Werkzeuge an die Hand zu geben, um mit sich selbst und schlechten Gefühlen klarzukommen. Schon als sie klein waren, habe er mit ihnen Atemübungen gemacht. Was ihm gefehlt hat, wollte er unbedingt seinen Kindern mitgeben.

Er denke immer noch, dass er ständig etwas leisten müsse. „Perfektionismus ist Angst in schönen Schuhen“, findet Harald und erlaubt sich, unperfekt zu sein. Mit Qi-Gong könne er einfach nur im Hier und Jetzt sein. „Wenn ich achtsam bin, braucht keiner auf mich aufzupassen. Das tut mir einfach gut. Und was mir guttut, wiederhole ich.“ Aus diesem Grund läuft bei jeder Einheit die gleiche, beruhigende Musik. Der Körper reagiere direkt darauf und entspanne sich komplett. „Es ist für mich wie nach Hause kommen“, sagt Harald.

Mehr Jobs

Sie sind bereits registriert?
Hier einloggen