
Es ist ein mühsamer Aufstieg durch die dunkle Schachthalle und über rostige Stahlstufen hinauf, bis man in 30 Metern Höhe vor den riesigen Seilscheiben steht. Dafür ist der Ausblick von der oberen Plattform des Schachtgerüsts von Schacht 3 einfach grandios. Weit schweift der Blick über Chemieanlagen, grüne Wälder und die Heimatstadt Marl. Manchen ehemaligen Bergmann wird es mit Wehmut erfüllen: Die Tage des mächtigen Doppelbocks aus dem Jahr 1937 sind gezählt.
Bis 2027 soll Fläche „besenrein“ übergeben werden
Auf den 90 Hektar Betriebsfläche der ehemaligen Zeche Auguste Victoria 3/7 an der Carl-Duisberg-Straße entsteht der künftige Industriepark gate.ruhr. Dafür müssen Zug um Zug alle Bergwerksgebäude weichen. „Wir wollen die Fläche bis 2027 besenrein übergeben“, sagt Robert Bures, der als Projektingenieur der RAG Montanimmobilien auch den schwierigen Rückbau des Schachgerüsts steuern wird.
Etwa 400 Tonnen wiegt der stählerne Koloss, der um den nächsten Jahreswechsel herum in fünf Segmente zerlegt werden soll. Zwei Kräne werden dabei zum Einsatz kommen. Der große Kran hält die Segmente und setzt sie auf den Boden, der kleinere hat die Gondel mit den Arbeitern am Haken, die dem Giganten mit dem Schneidbrenner zu Leibe rücken.

Wirklich aufwendig sind die Vorarbeiten. „Rund um den Schacht gibt es vermutlich Hohlräume, die geortet und verfüllt werden müssen, bevor die großen Kräne aufgestellt werden können“, so Bures: „Ohne Standfestigkeit kein sicheres Arbeiten.“ Eine Sprengung des Gerüsts per Schneidladung wäre effektiver, ist aber schon wegen der Nähe des Chemieparks kein Weg.
Bis etwa 1960 wurde am Schacht 3 Steinkohle gefördert. Zwei leistungsstarke Fördermaschinen auf der Ost- und Westseite des Schachtgerüsts trieben über eine Treibscheibe die Förderseile an, die um die vier mächtigen Seilscheiben mit jeweils sieben Metern Durchmesser herumliefen. Per Gestellförderung kam das schwarze Gold in Förderwagen nach oben. Nach der Inbetriebnahme von Schacht 7 fand über die vier Körbe von Schacht 3 nur noch Seilfahrt statt.
Könnte das Schachtgerüst nicht erhalten werden, vielleicht sogar als Aussichtsturm? Das fragt sich mancher Marler. Robert Bures schüttelt den Kopf: „Der Doppelbock wäre höchstens eine Landmarke, eine Begehung ist ausgeschlossen“, sagt der 61-jährige Projektingenieur: „Schon Rostschutz- und Malerarbeiten für den Turm würden 100.000 Euro pro Jahr verschlingen, für eine wirkliche Ertüchtigung wäre ein Millionenbetrag fällig.“

Entscheidend ist: Schacht 3 ist Reservestandort für die Grubenwasserhaltung. Im Bedarfsfall muss eine 15 Meter lange, 20 Tonnen schwere Wasserhaltungspumpe Hunderte Meter in den Schacht herabgelassen werden können. Dafür müsste eine aufwendige, stabile Tragkonstruktion errichtet werden. Der Doppelbock kann dieses Gewicht nicht halten. Er stünde dann einfach im Weg.
Neue Kreisverkehre sollen die Seilscheiben aufnehmen
Immerhin: Von den vier, mit Lagerbock jeweils 7,5 bis 10 Tonnen schweren Seilscheiben sollen zwei erhalten werden und die beiden Kreisverkehre zieren, die zurzeit an der Carl-Duisberg-Straße entstehen. Sie können dann noch viele Jahre an die mehr als 100-jährige Tradition des Bergbaus in Marl erinnern.
Robert Bures war nie Bergmann. Sein Vater arbeitete auf den Chemischen Werken. Trotzdem hängt das Herz des Marlers, der in Drewer-Süd aufwuchs, am Bergbau, vor allem am Zusammenhalt. „Was unter Tage galt, gilt heute bei der RAG auch über Tage“, so Bures: „Es gibt beim Rückbau der Schachtanlagen immer wieder schwierige Situationen, da können wir uns im Team noch immer blind aufeinander verlassen.“
Im Herbst 2024 beginnt der 4. Rückbauabschnitt. Zusammen mit der Schachthalle und den Fördermaschinengebäuden wird dann auch der Doppelbock fallen: „Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, so der Projektingenieur: „Wenn der Industriepark gate.ruhr tatsächlich 1000 neue Arbeitsplätze bringt, ist das am Ende doch eine richtig gute Sache.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 24. März 2024.