
Eine Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn waren es rund 50 Menschen, die sich auf dem Berliner Platz in Oer-Erkenschwick versammelt hatten. Eine Viertelstunde später war der Platz gut gefüllt, am Ende werden es an diesem Samstag (27.1.) rund 600 kleine und große, junge und alte Menschen gewesen sein. Sie sind der kurzfristigen Einladung des vor wenigen Tagen erst gegründeten Bündnisses gegen Rechts gefolgt und haben mit kreativen Schildern, bunten Flaggen, Applaus, „Wir sind mehr“-Rufen und einfach nur mit ihrer Anwesenheit gezeigt, wofür sie stehen: für Freiheit, Toleranz, Menschlichkeit, Vielfalt. Und wogegen sie sind: „Rechtsextremismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit“, um es mit den Worten von Bürgermeister Carsten Wewers zu sagen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, sagte Wewers. „Ich glaube, dieser Artikel 1 in unserem Grundgesetz: Da stehen wir alle dahinter. Und genau dafür stehen wir heute hier: unsere freiheitlich demokratische Grundhaltung zu erhalten und ein Zeichen zu setzen.“ Er rief dazu auf, sich auch im Alltag einzusetzen und aufzustehen gegen Hetze und für die Demokratie – auch in den sozialen Netzwerken im Internet: „Wir müssen auch da zeigen, dass wir mehr sind.“

Mit Horst Nilius übernahm anschließend ein Zeitzeuge das Mikrofon. Der Oer-Erkenschwicker feierte am 27. Januar seinen 90. Geburtstag und unterbrach eigens für die Kundgebung seine Feier. Die Menschen dankten es nicht nur mit einem Geburtstagsständchen sondern, und das war dem bemerkenswert agilen Mann offensichtlich viel wichtiger, mit viel Aufmerksamkeit.

Er habe Faschismus erlebt, das Nazi-Regime unter Adolf Hitler, sei im Jungvolk gewesen. „Man hat uns Sand in die Augen gestreut. Zeltlager an der Weser, Geländespiele, alles das, was Jungs und Kinder so gerne wollen. Aber Gott sei Dank habe ich eine Mutter gehabt, die den englischen Sender gehört hat, die mir als Kind schon gesagt hat: ‚Lass Dich nicht einwickeln, Faschismus ist der Untergang von uns Menschen‘.“ Faschismus breite sich mit Gewalt aus und Gewalt bedeute Krieg. „Wir brauchen uns doch nur umzuschauen. Überall, wo der Faschismus regiert, wird Krieg angezettelt. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Eindringliche Erinnerungen folgten – an abgeworfene Bomben, an heulende Sirenen, an Augenblicke, in denen Mutter und Sohn um ihr Leben gerannt sind. Nilius: „Folgen des Faschismus. Das will keiner von uns mehr wieder.“

„Faschismus bedeutet Gewalt, Gewalt bedeutet Krieg“
Die von dem Recherche-Netzwerk Correctiv veröffentlichten „Remigrationspläne“ der AfD würden auch und vor allem Menschen mit Migrationshintergrund betreffen. Wie Tascan Mansur, den stellvertretenden Vorsitzenden des Deutsch-Türkischen Freundeskreises in Oer-Erkenschwick. Er sagte auf dem Berliner Platz: „Als Migranten sind wir auch hier verwurzelt. Unser Heimatland ist Deutschland, ebenfalls Deutschland. Wir empfinden Stolz und Ehre dafür. Die Demokratie und die Werte in Deutschland sind auch unsere Werte. Wir müssen diese Werte für immer verteidigen.“

Anschließend ergriff Sven Lütgenhaus vom Paritätischen Wohlfahrtsverband das Wort und sagte, dass die Remigrationspläne, würden sie Realität werden, nicht bei Menschen Migrationshintergrund aufhören würden: „Es wird weiter gehen. Dann werden alle Menschen, die anders sind, anders denken, in den Blick geraten. Dann geraten Sie und ich in den Blick“, wandte er sich an die Demonstrierenden. „Und das dürfen wir nicht zulassen und das lassen wir nicht zu.“
Außer einer kurz angespielten Nationalhymne und „Die Ampel muss weg“-Lautsprecherdurchsage aus einem Mehrfamilienhaus verlief die Demo störungsfrei.
„Mama, wir gehen nirgendwo hin“
Am Rande der Kundgebung erzählte Shaoiub Nazir, der mit Josef Oenick das Bündnis gegen Rechts gegründet hat, was die Deportations- und Abschiebephantasien mit Menschen machen – etwa seiner Mutter, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt. Sie habe ihn gefragt: „Was machen wir denn, was passiert denn, wenn die AfD an die Macht kommt?“ Ob sie dann ausgewiesen würden? „Ich habe ihr gesagt: Mama, wir gehen nirgendwo hin. Wir setzen ein Zeichen, das machen wir mit diesem Bündnis, weil wir einfach dazu verpflichtet sind.“ Man wolle die Lehren aus der Geschichte ziehen und ganz klar sagen: „Nein zu Rechtsextremismus, nein zu Rassismus.“