Obdachlosen-WG Frauen starten an der Sedanstraße in ein neues Leben

Startklar: Jutta Dickow (r.) und Mirella Kretschmann sortieren Bücher auf dem Regal in der großen Wohnküche der WG für obdachlose Frauen. © Ulrike Geburek
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Die Sonne scheint durch die hohen Fenster. Es duftet nach Kaffee, und die Waschmaschine dreht gemächlich ihre Runden. Eine junge Frau mit dunklen Haaren schaut kurz in die Küche, sagt „Hallo“ und verschwindet wieder. In der Wohngemeinschaft (WG) für obdachlose Frauen ist Alltag eingekehrt. Nach den ersten sechs Monaten sind die vier Zimmer an der Sedanstraße belegt.

Und Markus Just, Leiter der Wohnungslosenhilfe der Diakonie, ist froh, dass der Wohlfahrtsverband nach langer Suche das Haus der Kirchengemeinde St. Antonius gefunden hat. „Es war die richtige Entscheidung. Wir könnten noch mehr Plätze gebrauchen“, sagt er.

Ansprechpartnerinnen in dem alten Backsteinhaus sind zwei Sozialarbeiterinnen. „Die Frauen kommen hier zur Ruhe und beginnen ihr Leben wieder zu ordnen“, erzählt eine von ihnen, Mirella Kretschmann, und ihre Kollegin Jutta Dickow nickt zustimmend. Doch die zwei drängen sich nicht auf, sie sind nur „da“. „Schließlich ist das ein niederschwelliges Angebot“, erklärt Jutta Dickow. Aber früher oder später klopfen die Frauen an die Bürotür.

In dieser WG sind die Frauen besser aufgehoben

Die Stimmung ist entspannt in der WG. Es gibt keinen Zoff um Zahnpasta. Doch es gibt auch (noch) keine Gespräche in der Wohnküche. „Jede lebt für sich“, berichtet Mirella Kretschmann mit Bedauern. Das liege momentan an dem großen Altersunterschied der Bewohnerinnen – und ebenso an den Corona-Vorsichtsmaßnahmen.

Jede sei erleichtert, diesen Zufluchtsort gefunden zu haben. Die Fachleute wissen: In solch einer WG sind Frauen besser aufgehoben. Besser als in der städtischen Übernachtungsstelle und auch besser als in der Notunterkunft, dem „Forsthaus“. Markus Just: „Denn die meisten Frauen haben schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht und meiden sie daher.“

An der Sedanstraße sind sie dagegen unter sich. Dort kümmern sich Frauen um Frauen. Und irgendwann gewinnen Mirella Kretschmann und Jutta Dickow das Vertrauen der Bewohnerinnen. Die Sozialarbeiterinnen begleiten sie dann zu Ärzten, Ämtern und zum Jobcenter. Sie sortieren Papiere und manches Leben.

Sozialer Abstieg verläuft immer wieder ähnlich

Und das ist in der Regel hart gewesen. Kein Job, kein Geld, keine Wohnung: Der soziale Abstieg von obdachlosen Menschen verläuft immer wieder ähnlich. Trennung, Scheidung, der Verlust eines Kindes, psychische Krankheiten, Sucht – all das spielt eine Rolle auf dem Weg nach unten. „Allerdings leben die wenigsten Frauen auf der Straße“, erklärt Markus Just. Im Gegensatz zu den Männern schlagen sie sich häufig bei Freunden durch und gehen womöglich eine sogenannte „Couch-Beziehung“ ein. „Solche Zweck-Partnerschaften sind nicht selten mit sexuellen Gefälligkeiten verbunden. Das ist dann die verdeckte Form der Wohnungslosigkeit“, sagt Markus Just.

Aber er weiß auch: Viele Frauen wagen erst gar nicht, ihren gewalttätigen Mann zu verlassen, denn sie haben keine Ahnung, wohin sie flüchten und wie sie ihren Alltag neu organisieren sollen. Für sie sei die WG ebenfalls die richtige Adresse.

Not der Frauen verstärkt sich in der Corona-Zeit

Doch während der Pandemie verstärkt sich diese Not noch. Dafür sprechen die Zahlen. In der Regel suchen weniger Frauen als Männer die Beratungsstelle der Diakonie an der Herner Straße auf. 1919 waren es 86, das ist etwa ein Drittel der Klienten, im vergangenen Jahr aber nur noch 56.

Und wie geht es weiter mit der WG? Zunächst einmal hat die Gemeinde den Mietvertrag verlängert. Vier Monate hat die Diakonie Zeit, ein neues Haus zu finden. „Wir suchen aber ein größeres Gebäude, vielleicht sogar mit kleinen Appartements und unbedingt mit einer Tages- und Begegnungsstätte nur für Frauen“, erzählt Markus Just. Es gibt bereits Gespräche mit möglichen Vermietern.

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