Straßenserie „Hier gibt es immer etwas zu gucken“

Am Anfang: Nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt beginnt die Wickingstraße. © André Przybyl
Lesezeit

„Hier gibt es immer etwas zu gucken“, sagt Katharina Herrmann und blickt durch das große Glasfenster ihres Friseursalons auf die Kreuzung. „Es ist gar nicht lange her, da hat ein Lkw seine Ladung verloren – alles war voller Bierflaschen.“ Vollkommen aufgelöst versucht der Fahrer, seine Fracht wieder einzufangen. Sie schickt ihre „Mädels“ nach draußen: „Schnappt euch Besen und Kehrblech und helft dem armen Mann.“ Dann habe auch die Polizei mit angepackt.

Aus Glas und Beton: das Bildungszentrum des Handels. © André Przybyl © André Przybyl

Fangen wir vorne an: Ein Zug fährt ratternd in den Recklinghäuser Bahnhof ein. Zur einen Seite blickt die Kunsthalle zu den Gleisen, zur anderen steht das Bildungszentrum des Handels. Hier, unweit des Hauptbahnhofs, beginnt die Wickingstraße. Über rund 270 Meter erklimmt sie nördlich der Altstadt eine Anhöhe. In einem langgezogenen Gebäude aus Beton und Glas ist das Bildungszentrum untergebracht. Dahinter erhebt sich ein roter Backsteinbau, auf dessen Front ein stilisiertes „A“ prangt – die Agentur für Arbeit.

Der Wickingplatz mit seinen grauen Pflastersteinen liegt träge in der Sonne. Die Bäume sind schon sichtlich vom Herbst gezeichnet. Die Bänke aus Holz und Beton stehen aufgereiht wie an einer Schnur. An der Ecke empfängt ein vietnamesisches Restaurant seine Gäste. Der Himmel ist blau, der Wind treibt die gelben Blätter vor sich her. Ein Bus fährt von seinem Pausenplatz vis-à-vis der Gleise gen Busbahnhof. Ein Mann mit grauem Bart und schütteren, wilden Locken läuft auf und ab. Er trägt zerschlissene Sandalen, in der Hand hält er eine leere Cola-Flasche. Er murmelt etwas vor sich hin, uriniert an einen Baum und verschwindet.

Knotenpunkt: die Kreuzung an der Hauptpost. © André Przybyl © André Przybyl

Holzhandlung weicht einem großen Wohnblock

Vorbei geht es an einer Fahrschule, einem Versand- sowie Druckgeschäft und einem Elektronik-Handel gen Oerweg. An einer Kreuzung hat eine Kastanie ihr Herbstkleid angelegt. Der mächtige Baum zeigt sich den Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern in Rot, Gelb, Braun und Grün. Dahinter macht sich die Hauptpost in einem Bau aus dunkelrotem Backstein breit. Nun erklimmt die Wickingstraße eine Anhöhe. Ein graues, lang gestrecktes Haus beherbergt Läden, Büros und einen Zahnarzt. Auf der anderen Straßenseite dominiert ein Wohnblock die Szenerie. Früher stand auf dem Gelände ein Holzhandel. „In den vergangenen Jahren ist das die größte Veränderung an der Straße“, berichtet Katharina Herrmann.

Den Hügel hinauf: Die Wickingstraße nimmt eine Anhöhe. © André Przybyl © André Przybyl

Es folgen Wohnhäuser älteren Datums. An einer weiteren Kreuzung endet die Wickingstraße. Ein gelber Baukran schiebt sich in den Himmel – hier entsteht ein Neubau. Gegenüber steht eine alte Stadtvilla samt Türmchen und verziertem Giebel. Die Pizzeria an der Ecke hat noch zu. Ein Krankenwagen rast heran und fährt mit Blaulicht und lautem „Tatütata“ weiter. Über den Börster Weg schieben sich die Autos weiter in das Nordviertel. Bergab geht es über die Straße Am Lohtor Richtung Innenstadt. Geradeaus führt die Halterner Straße zur Mollbeck und weiter nach Marl.

Am Ende: Nach der Kreuzung mit dem Börster Weg und der Straße Am Lohtor wird die Wicking- zur Halterner Straße. © André Przybyl © André Przybyl

An der Kreuzung betreibt Katharina Herrmann ihren Friseursalon. „Ich arbeite seit 2009 hier“, erzählt sie. „Zunächst habe ich meine Ausbildung gemacht und war dann angestellt.“ 2014 besteht sie ihre Meisterprüfung und übernimmt den Laden. „Im selben Jahr, in dem Deutschland Fußballweltmeister geworden ist.“

Arbeitet seit 2009 an der Wickingstraße: Friseurmeisterin Katharina Herrmann. © André Przybyl © André Przybyl

Friseurmeisterin statt Lehrerin geworden

Ursprünglich will sie Lehramt studieren. „Nach dem Abitur habe ich aber zunächst keinen Studienplatz bekommen und erstmal ein soziales Jahr im Seniorenzentrum absolviert.“ Dann beginnt das Nachrückverfahren. Sie steht vor der Entscheidung: In die Arbeitswelt gehen oder die Schulbank drücken? „Als Abiturientin war anfangs meine Scheu groß, ‚nur‘ Friseurin zu werden“, erinnert sie sich. „Doch mir wurde schnell klar, dass der Beruf wesentlich komplexer, anspruchsvoller und facettenreicher ist, als mir bewusst war.“ Somit entschließt sie sich für die Arbeitswelt. Heute beschäftigt sie vier Mitarbeiterinnen. „Auch in unserer Branche ist es zunehmend schwer, gute Leute zu finden“, räumt sie ein. „Der Beruf ist allerdings auch anstrengend.“ Bereut hat sie es dennoch nie, Friseurin geworden zu sein. „Es ist ein unfassbar schöner Beruf – ich bin den Weg der Leidenschaft gegangen.“

Zur Sache

Rund 270 Meter misst die Wickingstraße im Nordviertel. Ihren Namen erhielt sie am 2. Januar 1900. Davor hieß sie Bahnhofsstraße. Ihr Namensgeber ist der Recklinghäuser Adolf Wicking (*5. Februar 1807 bis zum 24. März 1877). Er war Tuchfabrikant, später Kaufmann und Kalkbrenner. Außerdem gründete er die „Wicking‘sche Portland-Cementwerke und Wasserkalkwerke“ in Lengerich und Beckum. Zudem war Wicking Mitbegründer des Prosper-Hospitals. Auf der Kreuzung Wickingstraße/Martinistraße stand bis 1926 als altes Wegzeichen nach Oer, ein Häuschen mit einem Marienstandbild. Dies war 1741 errichtet worden und wieder neu aufgestellt, nach einem Verkehrsunfall in der Bahnhofsanlage.

Mehr Jobs

Sie sind bereits registriert?
Hier einloggen