Corona in Recklinghausen Intensivmediziner sehen immer mehr Covid-Patienten unter 30 Jahren

„Langfristig hilft nur das Impfen“: Eine Patientin bekommt eine Spritze mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer gesetzt. © picture alliance/dpa
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Die Freude über sinkende Inzidenzwerte und die Forderung nach „Lockerungen“ beherrschen die öffentliche Debatte. Doch noch immer sterben Menschen an Covid-19 in unseren Krankenhäusern. Noch immer kommen neue Patienten hinzu. Ihr Durchschnittsalter sinkt rapide.

Recklinghäuser Intensivmediziner warnen darum gerade junge Leute auch bei sinkenden Infektionszahlen vor dem Virus. „Als junger Mensch ist man vor einem schweren Verlauf von Covid-19 nicht gefeit“, sagt Dr. Michael Schulte-Hermes, einer der Chefärzte im Prosper-Hospital. „Statistisch gibt es bei den Jungen zwar weniger schwere Verläufe als bei den Alten. Aber wir hatten schon mehrere schwangere junge Frauen auf der Intensivstation, die mit Sauerstoff versorgt werden mussten. Aktuell ist unsere jüngste Covid-Patientin 25 Jahre jung. Auch sie war auf der Intensivstation und bekam Sauerstoff.“

Dr. Michael Schulte-Hermes (47), Chefarzt im Prosper-Hospital, verantwortlich für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und den internistischen Bereich der Intensivstation. © Proselis © Proselis

Inzwischen geht es ihr besser. Die Ärzte haben sie auf die „normale“ Corona-Isolierstation verlegt. Doch die Krankheit, das wird dieser Tage immer deutlicher, macht um die Jugend keinen Bogen. Auch sie können auf einer Intensivstation landen. Und Intensivstation heißt immer: Es geht um Leben oder Tod.

Für die aktuelle Entwicklung macht Dr. Schulte-Hermes einerseits die Erfolge der Impfung von Älteren verantwortlich, andererseits aber auch die britische Virus-Mutante: „Das Virus ist damit aggressiver geworden, auch nimmt die Schwere der Erkrankung und die Sterblichkeit zu. Auf der anderen Seite hat sich an der Behandlung seit dem letzten Herbst nicht viel verändert. Wir laufen der Erkrankung hinterher, helfen mit Sauerstoff oder invasiver Beatmung, unterstützen den Kreislauf…“

„Nicht auszudenken“, wenn wir noch selbst genähte Masken trügen

Aber insgesamt habe sich dennoch einiges getan. „Nicht auszudenken“, wären die Folgen, „wenn wir der Virusmutation so entgegentreten müssten wie im Frühling 2020 dem ursprünglichen Virus: ohne Impfungen, ohne Schnelltests, ohne FFP2-Masken und nur mit den selbst genähten Stoffmasken“.

Eine wirklich wirksame Therapie gibt es aber noch nicht. Das einzige Mittel, das im Herbst 2020 noch neu in der Covid-Therapie auf den Intensivstationen war, ist Cortison: Der Entzündungshemmer werde etwa zwei Wochen nach der Infektion verabreicht, sagt Dr. Schulte-Hermes. Es sei das bislang beste Mittel der Intensivmediziner im Kampf um Leben und Tod der Covid-Patienten, „aber auch das hochdosierte Cortison hilft nur 30 Prozent der Patienten. 70 Prozent hilft es nicht“.

Die Corona-Lage

15 Patienten auf den Intensivstationen

Im Elisabeth-Krankenhaus in Recklinghausen-Süd liegen aktuell zehn Corona-Infizierte, drei von ihnen auf der Intensivstation. Der jüngste Patient auf der Corona-Isolierstation ist 23 Jahre alt.

Im Prosper-Hospital liegen zwölf Covid-Patienten, die jüngste ist 25 Jahre alt. Fünf von ihnen werden auf der Intensivstation behandelt. Von diesen fünf Schwerstkranken müssen zwei invasiv beatmet werden. Im Hertener Schwesterhaus des Prospers, dem Elisabeth-Hospital, liegen weitere neun Covid-Patienten, zwei von ihnen auf der Intensivstation, einer wird invasiv beatmet.

Im Klinikum Vest werden 21 Corona-Infizierte behandelt, aktuell alle in der Marler Paracelsus-Klinik, keiner im Knappschaftskrankenhaus. Von diesen 21 Patienten liegen fünf auf der Intensivstation, einer muss invasiv beatmet werden. Der aktuell jüngste Covid-Patient ist 51 Jahre alt.

Langfristig helfe nur die Impfung, die Herden-Immunität, glaubt Dr. Schulte-Hermes. Und welche Perspektive haben da schwangere Frauen, 13-jährige Kinder oder 25-jährige Erwachsene aktuell? „Ich vertraue bei diesen Personengruppen auf Mrna-Impfstoffe wie dem von Biontech/Pfizer“, sagt Dr. Schulte-Hermes. „Meine achtjährige Tochter würde ich sofort damit impfen, wenn der Impfstoff zugelassen ist. Ab zwölf Jahren ist er in den USA bereits zugelassen und das dürfte bei uns wohl auch bald passieren. In den USA laufen sogar schon Studien, ihn ab sechs Jahren zu verimpfen.“ Auch bei Impfungen von Schwangeren habe sich „bis jetzt kein Risiko“ für Missbildungen des Neugeborenen gezeigt.

Zwar glaubt auch der Prosper-Chefarzt, dass die dritte Welle nun abebbt. Er glaubt an einen Sommer mit mehr Urlaubs- und Einkaufsmöglichkeiten, auch mit dem Besuch einer Außengastronomie. Aber ein komplettes „Zurück zur Normalität“ werde es so bald nicht geben, denn: „Eine Pandemie kann man nur global bekämpfen. So lange die Menschen in Afrika oder Asien nicht geimpft sind und sich dort weiter Hunderttausende infizieren, wird es weitere Mutationen geben. Und irgendwann wird dann eine neue Katastrophe den Weg nach Europa finden.“

Umso wichtiger sei es, dass junge Leute aktuell „vorsichtig bleiben, auch wenn sie pandemie-müde sind oder manche der Schutzmaßnahmen als sinnlos erachten“.

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