Neuer Straßenname wegen NS-Vergangenheit „Unglaublicher Aufwand für die Bürger“

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Entsprechend des Artikels liegt es mindestens etwa 110 Jahre zurück, als der Namensgeber der Karl-Wagenfeld-Straße in Bockholt bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine, aus heutiger Perspektive, ganz klar problematische Sichtweise auf die Bevölkerung und Gesellschaft vertreten haben soll. Insofern wäre es selbstverständlich, dass eine entsprechende Straßenbenennung unter Berücksichtigung der heutigen Erkenntnisse nicht mehr richtig erscheint.

Als ich jedoch las, dass die Straßenumbenennung gegen den Wunsch der Anwohner ja völlig unproblematisch sei, da die Umbenennung aus Sicht der Stadt lediglich einen Kostenaufwand von 100 Euro erzeugen würde, stellten sich mir die Nackenhaare auf.

Der Stadt scheint nicht bewusst zu sein, welche enorme Auswirkungen eine solche Namensänderung hat. Es ist ärgerlich und unverständlich, wie die Stadt in diesem Fall die Welt sieht. Diese weltfremde Haltung zeigt sich auch im nächsten Satz des Artikels: „Die Umschreibung in Ausweispapieren und offiziellen Dokumenten erfolgt für die betroffenen Anwohner kostenlos.“ Soll das ein Trost sein?

Die Umschreibung erfolgt für die Anwohner kostenlos, weil sie die Steuerzahler bezahlen. Die Steuerzahler zahlen nicht nur die Umschreibung der Ausweisdokumente, sondern auch den restlichen, amtlich administrativen Aufwand, der mit einer solchen Straßennamensänderung verbunden ist. Sie zahlen treu und brav die erforderlichen Gespräche, Sitzungen, Abstimmungen, Protokolle, Anweisung an die Verwaltung und alle sich daraus ergebenden Verwaltungstätigkeiten. Zudem zahlen die Steuerzahler den tatsächlichen Aufwand für die Herstellung der neuen Beschilderung und die entsprechende Montage.

Sollte der Straßenname erst einmal geändert sein, geht der „Spaß“ für die Bewohner erst richtig los. Dann nehmen die Anwohner erst einmal einen Tag Urlaub oder verbringen ihre Freizeit im Einwohnermeldeamt, denn eine Umschreibung geschieht nicht ohne Präsenz. Eventuell sind neue Passbilder vonnöten. Anschließend erfolgt die Umschreibung von Kfz-Fahrzeugpapieren.

Änderungen kosten unglaublich viel Mühe

Dann sind Briefpapier und gegebenenfalls Stempel und alle sonstigen Unterlagen zu vernichten, auf denen ihre dann alte Adresse keine Bedeutung mehr hat. Entsprechendes ist neu anzuschaffen. Danach müssen die Bewohner ihre Familien, Freunde, Bekannten und zudem verpflichtend ihre Versicherungsgesellschaften, Banken, Krankenkassen, Rentenversicherungen, Energieversorger, Internetanbieter, ihren Arbeitgeber und unzählige andere Personen und Institutionen über den Adresswechsel informieren. Es erfolgen Änderungen bei Sportvereinen, bei Fitnesscentern, bei Handwerkern, Schulen, Kindergärten sowie bei Ärzten und endlos viele Stellen, bei denen ihre Adresse in EDV-System gespeichert ist. Wie unglaublich viel Zeit und Mühe das auf allen Seiten kostet – und das, für jeden einzelnen Bewohner. Danach kommen Onlinebestellsysteme wie Amazon, Zalando, Lieferando an die Reihe. Viele Änderungen werden vergessen werden. Wie viele Briefe, Päckchen und Pakete werden wohl nicht ankommen? Gebäudeversicherer und Haftpflichtversicherer dürfen nicht vergessen werden.

Auch Bescheide und Pläne müssen angepasst werden

Hinzu kommen amtliche Änderungen der Grundsteuerbescheide, Grundsteuermessbescheide (Finanzamt) und nicht zuletzt die Änderungen in Katasterplänen (Verwaltung) und Grundbüchern (Amtsgericht). Zudem werden „von Amts wegen“ die Bescheide über die Grundbesitzabgaben zu ändern sein, so wie auch die Straßenreinigungspläne, die Müllabfuhrpläne und vieles mehr. Die kommunalen Versorger werden die Pläne für die Gas-, Wasser, Strom- und Telekommunikationsversorgung anpassen müssen. Allein um diese ganzen Änderungen durchzuführen, werden sich mehr als 50 Menschen pro Straßenbewohner mit der Adressänderung beschäftigen müssen. Was für eine Zeit- und Geldverschwendung!

Überdies haben über 90 Prozent der Menschen in ihren Fahrzeugen Navigationssysteme, die nicht regelmäßig upgedatet werden, weil jedes Update Geld kostet. Diesen Menschen wird es nicht möglich sein, die neue Anschrift zu finden. Von Menschen, die klassisches Kartenmaterial verwenden, mal ganz zu schweigen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es sein wird, wenn Rettungsdienste, Feuerwehren oder die Polizei eiligst dorthin eilen und die Irritation über den neuen Straßennamen kostbare Zeit fordert.

Das alles wird die Bewohner noch viele Jahre beschäftigen. Und das alles, weil man herausgefunden hat, dass der 1869 geborene Namensgeber der Straße vor etwa 110 Jahren erstmals mit äußerst kritisch zu bewertenden Äußerungen aufgefallen ist. Ein Mann, den heute ohnehin niemand kennt und für den sich niemand interessiert. Aber das ist doch alles kein Problem – kostet doch nur 100 Euro!

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