
Dass er nach mittlerweile 20 Monaten U-Haft für weitere viele Jahre im Gefängnis verbleiben muss, dürfte für Lars H. aus Grullbad eigentlich keine Überraschung mehr gewesen sein. Trotzdem wirkte der Angeklagte am Donnerstag vor und bei der Urteilsverkündung im „Marvin-Prozess“ innerlich angespannt. Mit der einen Hand krallte er sich unentwegt an einer vor ihm ausgebreiteten roten Strafakte fest, mit der anderen tippte er regelmäßig einen Kugelschreiber auf und ab. Blicke in Richtung Richterbank vermied der 46-Jährige konsequent.
Bei Razzia zufällig im Schrank entdeckt
Mit einem kurzen Kopfschütteln quittierte Lars H. um 12.11 Uhr die Verkündung des Strafmaßes: insgesamt neun Jahre Haft plus anschließende Sicherungsverwahrung. Wegen sexuellen Missbrauchs des jahrelang als vermisst geltenden Marvin, der ab dem Sommer 2017 (als damals 13-Jähriger ausgerissen aus einer Wohngruppe in Oer-Erkenschwick) bei H. in dessen Wohnung an der Hochstraße untergekommen war. Und der erst im Dezember 2019 dort zufällig bei einer Kinderporno-Razzia versteckt in einem Kleiderschrank entdeckt worden war.
„Gefahr weiterer Taten übergroß“
„Wir halten den Angeklagten für einen gefährlichen Hangtäter“, begründete Richter Stefan Culemann die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Bei der Festnahme des vorbestraften Sexualstraftäters sei „unendlich viel Material gefunden worden“. Darunter: Sprachnachrichten, Nacktvideos, Kinderpornobilder, sogar eine recht aktuelle handschriftliche Liebeserklärung an einen anderen Jungen. Die auszugsweise Auswertung der Beweismittel im Prozess habe aufseiten von Lars H. „ein ausgeprägtes pädosexuelles Interesse“ offenbart. „Wir halten die Gefahr weiterer Taten für übergroß“, hieß es im Urteil.
„Wir wissen von Marvin, dass es anders war“
Lars H. hatte erst in der Schlussphase des seit Juni 2020 laufenden Prozesses sexuelle Kontakte eingeräumt, allerdings Marvins Opferrolle ausdrücklich infrage gestellt. „Ich habe gemacht, was er gesagt hat“, hatte H. über seinen Verteidiger Markus Kluck erklären lassen.
„Wir wissen von Marvin, dass es anders war“, legte sich Richter Stefan Culemann fest. Der Angeklagte habe den heute 17-Jährigen nachweislich „sexuell missbraucht, ohne jedes Mal gefragt zu haben“. Und das offenbar nahezu täglich in den zweieinhalb Jahren. Rein vorsorglich habe man bei der Anzahl der im Urteil festgestellten Sex-Vorfälle (insgesamt 464!) einen 50-prozentigen Abschlag vorgenommen.
Geständnis für die Richter nur ein „Lippenbekenntnis“
Das späte Geständnis des Angeklagten stuften die Bochumer Richter als bloßes „Lippenbekenntnis“ ein, die Schmerzensgeldzusage (35.000 Euro in 20-Euro-Raten) als „nicht ernsthaft, sondern taktisch geprägt“.