Späte Ehrenrettung für Künstler Josef Krautwald Kuhhirtenskulptur wird 40 Jahre alt

Einweihung der Kuhhirtenskulptur vor der Gustav-Adolf-Kirche in Recklinghausen.
Der Stein des Anstoßes: die Recklinghäuser Kuhhirtenskulptur des Josef Krautwald während der Einweihung vor der Gustav-Adolf-Kirche im Jahr 1986. © RZ-Archiv
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Was Kunst ist, liegt immer im Auge des Betrachters. Dieser Grundsatz gilt auch in der Stadt Recklinghausen und wenn man in die Region schaut, erst recht. Doch es lohnt sich, Kunst einmal unter anderen Blickwinkeln und von anderen Standorten aus zu betrachten.

Die länger zurückliegende Geschichte ist schnell erzählt und sattsam bekannt. Im Jahr 1986 schickte sich eine Bürgerinitiative an, angeführt vom Verschönerungsverein Altstadt, dem seinerzeit als letzten Kuhhirten geltenden Theodor Erlhoff (1831-1903) ein Denkmal in Form einer Großskulptur aus Eifeler Basaltlava zu setzen. Hintergrund war die 750-Jahr-Feier der Bestätigung der Recklinghäuser Stadtrechte. Einen Platz sollte das Geschenk an die Stadt am Viehtor erhalten. In Planungsgesprächen mit den beteiligten Ämtern von Kultur, Planung, Bau und Öffentlichkeitsarbeit wurde als ausführender Künstler der Bildhauer Josef Krautwald (1914-2003) ermittelt.

Die Skulptur von Josef Krautwald an der Gustav-Adolf-Kirche.
Tradition seit dem Mittelalter: die „Zunft“ der Recklinghäuser Kuhhirten. Die Skulptur von Josef Krautwald steht seit 1986 an der Gustav-Adolf-Kirche.© Werner Koppe

Der Künstler stammte aus Borkendorf im schlesischen Landkreis Neisse, begann seine künstlerische Laufbahn zunächst als Steinmetz und Bildhauer, besuchte danach die Holzschnitzschule des italienisch-deutschen Bildhauers Cirillo Dell’Antonio in Bad Warmbrunn. Es folgten weitere Ausbildungen an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo er Schüler des Bildhauers Josef Thorak war, und Dresden. Nach dem Krieg ließ er sich im westfälischen Rheine nieder und gründete hier im Jahr 1951 sein Atelier. So weit zunächst die kurze Biografie des Künstlers.

Josef Krautwald reichte nun dem Auswahlgremium Modelle über seine Vorstellung eines Kuhhirten ein, doch diese fanden vor den „Kultursachverständigen“ keine Gnade. Die Folge dieses „Urteils“ war, dass der zugesagte Standort aufgekündigt wurde. Die Folge war aber auch, dass die Sammlung der Spendengelder – sicherlich eine Trotzreaktion der aufgebrachten Bevölkerung – weiterhin wuchs.

14 Krautwald-Objekte befinden sich in der Nachbarstadt Herten

In dieser Not sprang die evangelische Kirchengemeinde mit einem Standort unmittelbar an der Gustav-Adolf-Kirche in der Sichtachse zum Viehtor ein. Hier haben Krautwald und Erlhoff nunmehr seit knapp 40 Jahren ihren Platz. Vom „Kirchenasyl“ für den Kuhhirten war vielfach im Nachgang zu dieser unrühmlichen Geschichte zu lesen. Dennoch ist nach fast 40 Jahren Gras über die Sache gewachsen, das auch keine der städtischen Kühe mehr wegfrisst.

Ärger und Frust hätten sich alle Beteiligten dieser Provinzposse allerdings ersparen können, wenn eine intensivere Recherche zu Josef Krautwald und seinem Werk erfolgt wäre. Fündig wäre man bereits in der Nachbarstadt Herten geworden. Hier ist der Künstler bereits seit 1958 vertreten. Seine immerhin 14 Objekte, die meisten im Stadtteil Westerholt verortet, zeugen von Ideenreichtum und künstlerischem Können. Sein umfangreiches Werk enthält eine Fülle christlicher Motivik. Daneben zeigt das Beispiel aus Westerholt mit dem Titel die „Boonpötterin“, dass sich Krautwald auch mit dem Leben der sogenannten „kleinen Leute“ befasst hat.

Bronzetür an St. Martinus in Westerholt.
Bereits im Jahr 1982 gestaltete Josef Krautwald drei Bronzetüren an St. Martinus in Westerholt.© Werner Koppe

Immerhin befanden sich bereits vor und um 1986 markante Beispiele seines Werkes in der Nachbarstadt, die aussagekräftig genug sind, dass die Recklinghäuser „Fachleute“ zu einem anderen Urteil über den Künstler aus Rheine hätten gelangen können. Gerade das Beispiel der zeitgleich aufgestellten Skulptur „Boonpötterin“ zeigt anhand der angebrachten Inschrift-Tafel, wie es hätte laufen können:

„Die Boonpötterin, das plattdeutsche Wort für Bohnenpflanzerin. Es war in früheren Zeiten die Bezeichnung der umliegenden Gemeinden für die Westerholter, wohl weil sie in harter Feld- und Gartenarbeit dicke Bohnen anbauten. Die Skulptur erinnert den Betrachter, die Natur und die Überlieferung zu achten. Von privater Hand der Stadt gestiftet wurde die Figur erschaffen von Josef Krautwald, Rheine und am 20. November 1986 der Öffentlichkeit übergeben.“

Mariensäule am Markt von Westerholt.
Josef Krautwald schuf 1983 auch die Mariensäule am Markt von Westerholt.© Werner Koppe

Eine Vorlage für den Recklinghäuser Kuhhirten hat Josef Krautwald bereits 1983 mit seinem Marienbrunnen auf dem Westerholter Markt vor der Martinus-Kirche geschaffen. Die Brunnenskulptur mit der heiligen Maria auf der Spitze enthält eine Fülle von Szenen aus der Westerholter Geschichte. Unter anderem findet sich darunter auch die Abbildung eines Viehhirten, der dem Recklinghäuser Beispiel sehr ähnelt, mit dem großen „Tutehorn“, in das er gerade bläst. Allerdings hütet er keine Kühe, sondern Schweine.

Sicherlich wäre das Urteil über Krautwald heute ein anderes und das Recklinghäuser Kuhhirtendenkmal würde direkt am Viehtor stehen. Dennoch scheint das Verdikt gegen Josef Krautwald weiterhin Bestand zu haben und so wirkt es einigermaßen irritierend, dass die Skulptur des Kuhhirten nicht in der Liste „Kunst im öffentlichen Raum“ der städtischen Kunsthalle erscheint. Immerhin steht der verbannte Kuhhirte 2025 bereits seit 40 Jahren an seinem Standort.

Das mögliche Vorbild des Recklinghäuser Kuhhirten ist auf der Westerholter Mariensäule ein Schweinehirt.
Das mögliche Vorbild des Recklinghäuser Kuhhirten entpuppt sich auf der Westerholter Mariensäule (1983) allerdings als Schweinehirte.© Werner Koppe

Heute müsste das Kunst-Objekt allerdings nicht mehr dem letzten Kuhhirten Theodor Erlhoff gewidmet werden, sondern der Gesamtheit der städtischen Viehhirten. Denn inzwischen ist belegt, so weisen es die Recklinghäuser Akten nach, dass der besagte nicht der Allerletzte war, der die kleine städtische Kuhherde zu den Bruch-Weiden begleitete, sondern ein Bernhard Hilgenberg im Jahr 1898.

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