Winzige Steine, große Geschichte Wie Dagmar Uzoh an „ihre“ Berliner Mauer kam

Eine Frau hält in Recklinghausen ein Stück Papier mit aufgeklebten Beton-Bröckchen in der Hand.
Die kleinen Brocken der Berliner Mauer erinnern Dagmar Uzoh an geschmuggelte Liedertexte und Berührungspunkte mit der Hausbesetzer-Szene in der damaligen DDR. © Tobias Mühlenschulte
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Dagmar Uzoh (51) aus Suderwich hatte ihren ganz persönlichen „Mauerspecht“: Der Bekannte aus dem ehemaligen Ost-Teil von Berlin-Pankow hatte sich nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze wie so viele andere auch an der Mauer „abgearbeitet“. Und seiner westdeutschen Freundin zu Weihnachten 1989 drei kleine Bröckchen des „antifaschistischen Schutzwalls“ per Post zugeschickt. Daran fühlte sich Dagmar Uzoh durch die Berichterstattung dieser Redaktion über Elemente der Berliner Mauer in Recklinghausen erinnert – und an geschmuggelte Liedertexte und Kontakte zur DDR-Hausbesetzer-Szene.

Heute arbeitet Uzoh als Diakonin bei der evangelischen Kirche in Waltrop. Von 1996 bis 2000 war sie in Recklinghausen beschäftigt. Gebürtig aber kommt sie aus Altena im Sauerland. Und dort beginnt die Geschichte auch: Bis heute besteht eine Partnerschaft zwischen der evangelischen Kirchengemeinde in Altena und einer Gemeinde in Pankow. Von 1986 bis 1991 nahm Uzoh als Jugendliche regelmäßig teil an Fahrten in die in Ost-Berlin gelegene Partnergemeinde. Die ursprüngliche Gemeinde war nach dem Mauerbau zerrissen worden. „Es ist ja nicht nur die Stadt geteilt worden“, sagt Uzoh. „Sondern auch Vereine, Kirchengemeinden, einfach alles.“

Verbotenen Text in Mantel eingenäht

Die Fahrten in die DDR haben ihren Horizont erweitert, sagt sie. „Es war für mich als Jugendliche schon vor der Grenzöffnung toll, dort zu sein. Als die Mauer dann fiel, habe ich mich unheimlich für die Leute dort gefreut.“ In welch engem Korsett sich die Menschen in der DDR nur bewegen konnten, bekam sie aus erster Hand mit – und ließ sich auf ein verbotenes Abenteuer ein: „Es war in der DDR nicht erlaubt, seinen christlichen Glauben auszuleben. Aber wir wollten damals ein bestimmtes Lied in einem Gottesdienst singen. Und den Zettel mit dem Liedtext habe ich dann in meinen Wintermantel eingenäht und über die Grenze geschmuggelt.“ Darüber, dass sie erwischt werden könne, habe sie sich damals keine Gedanken gemacht. „Als junger Mensch ist man sich der möglichen Folgen nicht bewusst“, sagt Uzoh.

Drei kleine Betonbrocken liegen auf einem Stück Papier.
Klein, aber fein: Die Brocken der Berliner Mauer mögen nur fingerkuppengroß sein, aber für die Besitzerin Dagmar Uzoh aus Suderwich hängen Erinnerungen an große Abenteuer daran. © Tobias Mühlenschulte

Ein weiteres Abenteuer sei der Kontakt zur Hausbesetzer-Szene in der DDR gewesen. Die Diakonin betont, dass diese anders als in West-Berlin nicht politisch motiviert gewesen sei. Leerstehende Gebäude habe das Regime „verrotten“ lassen. Auch junge Erwachsene der Partnergemeinde von Altena hätten Wohnraum besetzt, aber Miete bezahlt, um so eine Art Gewohnheitsrecht zu erwirken. „Ich bin im Sauerland behütet groß geworden und in Pankow mit Hausbesetzern in Kontakt gekommen. Es gab dort Kommunen mit Hühnern und Ziegen – mitten in Berlin“, staunt Uzoh auch heute noch.

Kontakt zu ihrem Bekannten hat sie heute nicht mehr. Geblieben sind ihr ihre Erinnerungen – und die drei winzigen Brocken Berliner Mauer. Den verblassten Text, den ihr DDR-Freund 1989 mitschickte, konnte Dagmar Uzoh mit Mühe und Not entziffern: „Echte Berliner Mauer/ Berlin Pankow/ herausgestemmt am 12.11.1989“

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