Zum Tod von Ulle Bowski „Mit seiner Kunst hat er den anderen einen Raum geschenkt“

Lesezeit

Seit Freitag, dem 30. Juni 2023, Todestag von Ulle, fällt es uns allen schwer an der 1000-Markenbude in der Münsterstraße 15 vorbeizugehen. Freunde legen dort Blumen und Kerzen nieder. Die Fenster sind dunkel. Nur wir selbst spiegeln uns darin beim kurzem Innehalten. Es ist kaum auszuhalten. Vorläufig bleibt die Markenbude eine Leerstelle!

Für die Künstler*innen und Kulturschaffenden in Recklinghausen war Ulle Bowski ein Dreh- und Angelpunkt. Nicht erst seit der Eröffnung der Markenbude, seinem letzten Geschenk an uns alle, die wir Kunst und Kultur machen, suchen, als Dialog verstehen, als Lebensquelle neben Essen und Trinken und Lachen. Hier konnte man eben nicht nur Ulle, sondern auch alle anderen treffen, sich der Kunst und des Lebens freuen. Mit ihm.

Zum Thema

Wir freuen uns über Ihre Meinung

Schreiben Sie uns – jedoch nicht mehr als 1.100 Zeichen inklusive Leerzeichen. Kürzungen behalten wir uns vor. Einsendungen mit Anschrift und Telefonnummer bitte an lesermeinung@medienhaus-bauer.de

Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Seit der Eröffnung im April 2018 hat Ulle hier, im Herzen der Stadt, mit Ausstellungen, Lesungen, Comedy, Theater und Musik die Szene in Recklinghausen wachgehalten. Seine Idee war einfach und genial: Leerstände gibt es genug in Recklinghausen. Warum sollte man sie nicht mit Kunst belegen? Er gründete die sogenannte 1000-Markenbude als Reminiszenz an ein Briefmarken-Projekt, das er selbst vor etlichen Jahren begonnen hatte.

Ulle fertigte Briefmarken von Künstler*innen und anderen aus Recklinghausen an. Ich glaube, er hat niemanden vergessen. Auch Leute, die gar nicht damit rechneten, von ihm gesehen und auf einer Marke, besser gesagt – als Marke – verewigt zu werden. Das ist es, warum er so fehlt – er hat nicht nur selbst Kunst geschaffen, sondern mit seiner Kunst den anderen einen Raum geschenkt, ist ihnen mit Wertschätzung begegnet. Immer. Jedenfalls haben wir ihn nie anders erlebt. Er war leise in seiner Art, trotzdem auffällig, er war komisch und nachdenklich.

Die Kunst war verknüpft mit dem Dialog

Kunst war bei Ulle immer verknüpft mit dem Dialog. Seit jeher, in unermüdlichem Engagement, in unterschiedlichsten Formaten schaffte er Kunst durch Austausch. Holte er seit 2018 Künstler*innen, Aktivist*innen, Performer*innen, Musiker*innen in die 1000-Markenbude, gab er ihnen früher auf seinem Balkon, im Film, im Video, auf 1000 Briefmarken eine Bühne. Legendär z.B. die WDR-Sendung „A 40“. Hier war er mit dem Musiker Andy Nevison zwischen Duisburg und Dortmund, entlang der A 40 unterwegs und stellte Videos von zwölf verschiedenen Orten, die es wert waren präsentiert zu werden, ins Netz. Und das zu einer Zeit, als wir anderen noch nicht viel vom Internet wussten.

Auf seinem Balkon veranstaltete er eine Interview-Reihe unter dem Titel „Kult A“ im Jahre (2004). Dort hatte er Künstler*innen zu Gast, um sie per Video der Allgemeinheit vorzustellen. Einige der Künstler*innen oder Bands, die Ulle vor die Kamera geholt hatte, gab es nicht mehr – tolle Menschen und kreative Köpfe aus Recklinghausen, die uns, wie er selbst nun, viel zu früh verlassen haben: Andy Nevison, Guido Röcken, Matthes Fechner. Darum ist Ulle Bowskis Arbeit auch ein Stück Recklinghäuser Erinnerungskultur.

Ulle Bowski war selbst eine „Kunst-Marke“, eine „Hochlarmarke“: Er nannte sich Gelegenheitsfilmer, Gelegenheitspilger, Gelegenheitsautor, Gelegenheitsmusiker, Gelegenheitshandwerker, Gelegenheitsreporter, Gelegenheitsgastgeber …. Er ließ schon früher keine Gelegenheit aus, uns zusammenzubringen, sich um die künstlerischen, sozialen und politischen Interessen und Bedürfnisse unserer Stadtgesellschaft zu kümmern, voranzugehen. Jetzt wieder – er ist vorangegangen. Ein echter Avantgardist!

Kommerz war Nebensache

Ulle Bowski war ein interkultureller und visionärer Akteur, der mit sehr viel Witz und Leichtigkeit seine Zeitgenoss*innen in den Vordergrund stellte, ohne selbst dahinter zu verschwinden. Er konnte sich zurücknehmen, ohne sich zurückzunehmen. Es machte ihm einfach Spaß, er wollte Menschen etwas Positives mitgeben. Kommerz war Nebensache – von der Kunst leben können, wäre trotzdem schön gewesen. Ging nicht. Dafür arbeitete er in Senioreneinrichtungen, förderte die Lebensgeschichten der Bewohner*innen zutage, wie immer ganz Ulle – unkonventionell und nicht erhebend, an manchen Tagen fuhr er Senior*innen mit der Rikscha herum. Was er machte, machte er mit Liebe: Gedichte, Kurzgeschichten, Romane schreiben, Untertage arbeiten, Filme drehen, Leute befragen …

Wir sind ihm für seine Kraft, sein Engagement und seinen wunderbaren Humor dankbar und werden ihn nicht vergessen. Vielleicht er uns auch nicht.

Vielleicht wird es einst ein Ulle-Bowski-Museum geben. Vielleicht bleibt die Markenbude bestehen.

Heike Kortenkamp

Mehr Jobs

Sie sind bereits registriert?
Hier einloggen