Ihre Eltern flüchteten aus Palästina. Sie ist Autorin, Politikerin und Muslima. Sie ist dafür, die Nationalität von Tatverdächtigen zu nennen, aber... Im Interview erklärt Sawsan Chebli, warum.
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Frau Chebli, Vor vier Jahren gab es nach den Silvesterkrawallen in Köln eine hitzige Diskussion, ob die Polizei grundsätzlich die Nationalität von Tatverdächtigen nennen soll. NRW-Innenminister Herbert Reul ist strikt dafür. Im Vorgespräch haben Sie mir erzählt, dass Sie nichts dagegen haben – wenn eine Bedingung erfüllt ist. Was meinen Sie damit?
Was müsste aus Ihrer Sicht die Konsequenz sein?
Reul und seine Unterstützer argumentieren, dass man sagen müsse, was Sache ist. Wenn man die Nationalität nicht nenne, leiste das Verschwörungstheorien und der AfD-Propaganda Vorschub. Können Sie das aus Ihrer Sicht einordnen?
In Deutschland haben wir einen Anteil von Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen, von rund 13 Prozent. Der Anteil der Nicht-Deutschen an den Tatverdächtigen aller Straftaten liegt dagegen bei 38,6 Prozent. Auch wenn diese Zahlen, wie Kriminologen erklären, kein wirklich korrektes Bild abgeben und von der AfD-Propaganda ausgeschlachtet werden, ist die Diskrepanz schon hoch. Wie bewerten Sie diese Zahlen? Wie ordnen Sie den hohen Anteil von Ausländern unter den Tatverdächtigen ein?
Viele Menschen fühlen sich in bestimmten Stadtvierteln – vor allem in solchen mit einem hohen Ausländeranteil – unwohl. Vor allem, wenn sie abends auf die Straße gehen. Können Sie das nachvollziehen?
Wenn man sich Daten genau anschaut, dann ist die AfD mit ihrer Hetze gegen Ausländer besonders in den Bundesländern stark vertreten, in denen der Ausländeranteil gerade am niedrigsten ist. Das ist doch völlig absurd. Wie erklären Sie sich das?
2015 gab es, als im Spätsommer sehr viele Flüchtlinge über die Balkanroute in Deutschland ankamen, eine beeindruckende Willkommenskultur. Nach einer gewissen Zeit flaute die stark ab. Heute ist von einer Willkommenskultur kaum noch etwas zu spüren. Stattdessen gibt es wieder Ängste, dass zu viele Fremde in unser Land kommen und unser gewohntes Leben aus dem Tritt bringen. Wie bewerten Sie das?
Wie bewerten Sie die Kritik des CDU-Politikers Jens Spahn und anderen an der – ich zitiere – „völlig ungesteuerten Asyl-Migration“?
Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen? Sie sind in Deutschland geboren, gleichwohl sieht man Ihnen an, dass Sie Wurzeln in einem anderen Kulturkreis haben. Haben Sie auch, wie viele andere in der gleichen Situation, Erfahrungen gemacht, dass sie beispielsweise häufiger kontrolliert oder benachteiligt werden als andere Menschen? Wurden und werden Sie Opfer von racial profiling? Was geht in Ihnen in solchen Situationen vor?
Sie haben als bekennende Muslima, die in den vergangenen Jahren hohe Ämter sowohl im Berliner Senat als auch im Auswärtigen Amt bekleidet haben, immer wieder für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Wie sehr belastet Sie es, dass bei Ihrer Arbeit immer wieder Ihre Herkunft und Ihre Religion in den Vordergrund gerückt werden?
Unsere Serie versucht, gerade Menschen, die sich nicht mehr trauen, zu einer bestimmten Frage ihre Meinung zu sagen, weil sie Angst haben, etwa mit einem shitstorm in den Sozialen Medien abgestraft und in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden. Sie ziehen sich zurück und schweigen. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft, für das Zusammenleben? Welche Folgen hat das für den demokratischen Diskurs bei uns?