
Vorab sei gesagt: Ich bin alles andere als ein Impf-Neider oder gar ein Impf-Gegner. Ich freue mich, dass die Impfkampagne langsam, aber stetig voranschreitet, und freu mich auch für jeden, der endlich seine Impfung bekommen hat. In meinem Freundeskreis ging das Ganze zum Beispiel ziemlich rasant los, weil ein großer Teil in der persönlichen Assistenz oder als Medikamentenausfahrer bei der Apotheke tätig ist, also sogar zur ersten Impfpriorisierung gehörte.
Rumgeprahlt haben sie damit nie. Es war eher eine stumme Freude darüber, dass man endlich den Impfstoff bekommen hat, auf den man so lange gewartet hat. Inzwischen sind die sozialen Netzwerke jedoch voll mit Impf-Selfies und Fotos von gelben Impfausweisen, in denen das gespritzte Vakzin abgelichtet wird. Ich kann die Freude nachvollziehen und auch, dass man Bock hat, diese mit anderen zu teilen – und wenn die freudige Nachricht eben an alle Follower geht, die man im Netz so hat.
Die negativen Folgen der Fotos überwiegen
Ich finde es auch sinnvoll, vor dem Gedanken, anderen zu zeigen, dass man das Impfen für etwas Gutes hält und nicht kategorisch ablehnen sollte. Aber irgendwie kommt mit den Impf-Selfies auch ein unguter Beigeschmack daher. Das liegt nicht nur an den ganzen Hasskommentaren der Impfneider, die ständig infrage stellen müssen, ob diejenige Person wirklich schon „an der Reihe“ war, ohne überhaupt irgendeine Ahnung zu haben, woher die Person die Impfberechtigung bekommen hat.
Das ungute Gefühl liegt vor allem auch daran, weil ich den Druck wahrnehme, den diese Fotos auslösen. Und zwar die Sorge davor, am Ende als einzige Person ungeimpft übrig zu bleiben. Die Impfpriorisierung ist zwar aufgehoben, doch einen Termin zu bekommen ist alles andere als einfach – besonders jetzt. Es ist im Grunde die ultimative Fear of Missing Out.
Scheinbar alle haben Freiheiten, außer man selbst
Man hat Sorge, dass alle anderen sich einen schönen Sommer machen, weil sie durchgeimpft sind und man selbst von Bürgertest zu Bürgertest stolpert und sich regelmäßig das Hirn mit diesem kleinen Stäbchen anstupsen lässt, bevor man die wieder erlangten Freiheiten genießen kann. Ich meine, irgendwann hat jeder, der möchte, die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Aber im Moment ist das halt noch nicht der Fall.
Deswegen ist es vielleicht rücksichtsvoller, anderen sein Glück nicht so unter die Nase zu reiben und seine Impfung per Selfie in die Welt hinauszutragen. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch genau der Sinn von sozialen Medien – anderen zu zeigen, wie (scheinbar) gut es bei einem läuft.