Persönliches Klischees über Bord auf dem Jazz-Festival

Jazz-Musiker pflegen eine innige Beziehung zu ihren Instrumenten. © pixabay.de
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Viele verbinden bestimmte Musikrichtungen direkt mit einem bestimmten Typ Mensch. Bei Punk zum Beispiel denkt man an hochgestylte Irokesen und zerrissene Klamotten, bei Hip-Hop an Typen in weiten Hosen, die mit Goldkettchen behangen sind – und bei Jazz, da denkt man an alte, schnöselige Menschen, die genussvoll an ihrer Weinschorle nippen und den ganzen Abend nur prätentiöses Zeug labern.

Jazz fasziniert wegen seiner Lebendigkeit

Doch wie bei fast allem im Leben gibt es natürlich immer wieder Ausreißer und alles ist bei weitem nicht so schwarz und weiß, wie wir manchmal glauben wollen. Ich persönlich habe schon vor ein paar Jahren meine Liebe zum Jazz entdeckt, auch abseits von Weinschorle und prätentiösem Gelaber.

Und vor allem in einer jungen Runde von Menschen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie die Musik zwar lieben, den teuren Lifestyle, der ihr zugeschrieben wird, aber in keinster Weise leben wollen oder könnten.

Ich kenne Jazz als lebendige Musik, die von Improvisation und dem Zauber des Moments lebt. Ich kenne Jazz vor allem auch als Musikrichtung, die in erster Linie von denen gespielt wird, die es wirklich draufhaben und eine innige Beziehung zu ihrem Instrument pflegen. Man muss Musik auf einer ganz anderen Ebene verstehen, um Jazzer zu sein. Okay, das klingt jetzt doch nach prätentiösem Gelaber, aber wer schon mal auf einer spontanen Jam-Session mit talentierten Jazz-Leuten war, der weiß, wovon ich rede, wenn ich von Lebendigkeit spreche.

Volle Punktzahl für die Musik, Abzüge fürs Publikum

Beim Jazz hat jedes Instrument seinen Platz – es gibt sogar Bass-Soli! Und die Freude, die die Musiker beim Spielen haben, teilen sie untereinander auf der Bühne und auch mit dem Publikum. Umso seltsamer war es für mich nun, mein allererstes reines Jazz-Festival zu besuchen. Die Musik, die dort gespielt wurde, war genauso, wie ich sie kennen und lieben gelernt habe. Jung, aufregend, experimentell und virtuos.

Das Publikum hingegen entsprach komplett dem Klischee. Es gab Sitzplätze – und das nicht nur wegen Corona. Man hat den Leuten angesehen, dass sie gut betucht waren und die Festivalpreise (etwa 10 Euro pro Weinglas) ihnen in keinster Weise etwas anhaben konnten. Ich fühlte mich fehl am Platz, wie ich an meinem Dosenbier nuckelte, was ich in kluger Voraussicht beim Supermarkt erworben habe.

Beim Tanzen gibt es keine Unterschiede mehr

Das Seltsame: Man sieht es diesen Menschen nicht an, da sie doch irgendwie spießig und verkrampft wirken, wie sie da so im Park auf ihren Klappstühlen hocken und sich an ihrer Weinschorle festhalten, doch auch sie lieben und schätzen die Lebendigkeit der Musik. Als eine Band auf die Bühne kam, die Jazz mit Techno mischt, brach es aus den Leuten heraus. Selbst die Generation Ü60 sprang auf einmal von ihren Plätzen auf und schwang das Tanzbein.

Dieser Moment war für mich nicht nur die Erlösung auf dem Festival, das mir vorher so steif und unbelebt vorkam, es war auch die Erlösung nach den Corona-Beschränkungen endlich wieder Menschen zu sehen, die tanzten und auch selbst zu tanzen – auf Abstand zwar, aber dennoch gemeinsam zur gleichen tollen Musik. Wie so oft im Leben sollte man sich von der äußeren Hülle und Klischees nicht abschrecken lassen. In den Menschen steckt oft mehr als man vermutet.

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