
Philipp Poisel ist keiner dieser aalglatten Wunschschwiegersöhne, die sich heutzutage in der Poplandschaft tummeln. Der Ludwigsburger kommt vielmehr als ein leicht schrulliger Typ mit einer nuscheligen, oft weinerlichen Stimme daher. Er versteht es, nachdenkliche Texte zu schreiben. Nach vierjähriger Studiopause legt Poisel nun das Album „Neon“ vor. Wir haben mit ihm über diese neue Platte und seinen Werdegang gesprochen.
Dein viertes Studioalbum heißt „Neon“. Wie entstehen Deine Songs? Denkst Du in Musik, in Noten und Akkorden?
Meistens ist eine Emotion die Grundvoraussetzung für einen Impuls. Bei manchen Ideen habe ich eine Melodie im Kopf, mit der ich eine Weile lebe. Dadurch entsteht ein Text. Zuweilen sehe ich auch Bilder vor mir, die ich dann beschreibe. Dieser zum Teil unbewusste, meditative Zustand ist für mich selber schwer greifbar. Es ist fast so, als hätte ich es gar nicht selber gemacht.
Was hat das chemische Element Neon mit Deiner Kunst zu tun?
Mir geht es nicht explizit um das chemische Element. In dem Begriff steckt ja das Wort „Neu“, was für mich ein Motto gewesen ist. Mit jedem Album will man sich einerseits treu bleiben, andererseits etwas Neues machen. In diesem ewigen Kreislauf möchte ich gerne bleiben. Ein weiterer Aspekt sind ehemals futuristische Dinge wie Neonlicht, Neonröhre, Neonreklame, Neonsticker. Die sind heute alle retro. Ich will mich positionieren zwischen Nostalgie und Nachvorneschauen.
Welche musikalische Richtung reizt Dich im Moment besonders stark?
Ich bin immer interessiert an der Generation nach mir. Da gibt es Künstler, die sehr krasse Effekte auf ihre Stimme legen, was ich mich gar nicht trauen würde. Das hat etwas Erfrischendes. Ich habe weder einen Spotify-Account, noch höre ich Radio, weshalb ich nur tröpfchenweise etwas mitbekomme von den Sachen, die tagtäglich veröffentlicht werden.
Deine Musik hat zum Teil etwas Trauriges. Träumst Du eigentlich von einem besseren Morgen und davon, wie man Dinge besser machen kann?
Soziale Bewegungen wie Fridays for Future machen mich ziemlich zuversichtlich. Es gibt heute auch etliche politische Initiativen in Sachen Diversität und Gleichstellung. Ich lerne viele engagierte junge Leute kennen. Die haben Lust darauf, alte Muster aufzubrechen. Das finde ich sehr positiv.
Wie kam es zu dem Beziehungslied „Benzin“ mit den Zeilen „Sie ist meine Droge“ und „Ich übergieß‘ mich mit Benzin!“?
Dieses Lied habe ich in einem Moment geschrieben, in dem ich ein großes Bedürfnis hatte, auch mal alleine zu sein. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Freiheit spielte dabei eine Rolle. Manchmal ist einem einfach alles zu nah. Ich habe ein bisschen darunter gelitten, dass man in einer Pandemie nicht verreisen kann.
Was bedeutet für Dich persönlich Freiheit?
Das ist eine ziemlich intime Frage, ich würde da lieber meine Musik sprechen lassen. Gesellschaftlich und beruflich gesehen ist Freiheit für mich, keine Rechenschaft ablegen zu müssen. Zum Beispiel auf Reisen zu gehen, ohne dass ich mich irgendwo abmelden müsste.
Hast Du schon in der Jugend positive Erfahrungen mit dem Singen gemacht?
Es gab auch Momente, in denen ich kritisiert worden bin. Das wurde für mich zu einem Antrieb, weil ich mir den Spaß am Singen nicht nehmen lassen wollte. Ich hatte aber lange Schwierigkeiten, es vor anderen zu tun. Ein schlimmes Thema für mich. Im Chor meinte ein Mädchen neben mir, ich sänge völlig schief. Ich dachte, wahrscheinlich hat sie recht und habe mich nie wieder getraut, irgendwo zu singen, wo ich mich nicht sicher fühlte.
Wann kam der Punkt, an dem Du fest an Dich geglaubt hast?
Vielleicht habe ich mich so sehr mit meiner Stimme auseinandergesetzt, dass ich zwar nie der Meinung war, besonders schön singen zu können, aber zumindest ein dickes Fell zu haben. Die Kritik, dass ich so schief singen würde, hat eine Weile an mir genagt, aber irgendwann dachte ich, es ist okay für mich. Vielleicht gibt es ja auch andere, die es nicht so sehen.