Hype-App „ICEBlock“ Katz- und Mausspiel mit der Trump-Regierung

Eine Teilnehmerin einer Demonstration der Democrats Abroad Germany (Demokraten im Ausland) hält nahe der US-Botschaft auf dem Pariser Platz versammelt ein Plakat mit der Aufschrift „Wrong ICE is disappearing“.
Eine Teilnehmerin einer Demonstration der Democrats Abroad Germany (Demokraten im Ausland) hält nahe der US-Botschaft auf dem Pariser Platz versammelt ein Plakat mit der Aufschrift „Wrong ICE is disappearing“. © picture alliance/dpa
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Das Konzept der Warn-App dürften die allermeisten Smartphone-Nutzer noch aus Zeiten der Coronapandemie kennen: Damals dokumentierte die Corona-Warn-App des Robert-Koch-Instituts Kontakte in der Nähe und leuchtete rot auf, sobald einer dieser Kontakte einen positiven Corona-Test hinterlegte. Auch im Katastrophenschutz spielen solche Programme eine Rolle: Apps wie Katwarn oder Nina warnen standortbasiert vor Extremwetterereignissen oder anderen Gefahren für die Bevölkerung.

In den USA allerdings gibt es jetzt eine Warn-App der besonderen Art – und die richtet sich unmittelbar gegen die Politik der eigenen Regierung. Mit der iOS-App ICEBlock des privaten Entwicklers Joshua Aaron ist es möglich, sein Umfeld vor Einsätzen der US-Einwanderungsbehörde zu warnen, die offiziell United States Immigration and Customs Enforcement heißt, kurz: ICE.

Konkret funktioniert das so: Sichtet man ICE-Mitarbeiterinnen oder -Mitarbeiter in der Gegend oder bei einer Razzia, kann man ihre Position auf einer Karte eintragen. Wer sich in der näheren Umgebung befindet, bekommt eine Push-Nachricht aufs Smartphone, inklusive des Standorts der Beamten, und kann sich so rechtzeitig in Sicherheit bringen. All das soll anonym geschehen, ohne dass die App Daten sammelt. In den USA ist sie inzwischen so beliebt, dass sie zeitweise auf Platz 1 der Appstore-Charts von Apple stand.

Razzien gegen Migranten

Die Idee kommt nicht von ungefähr: Donald Trump hatte seit seinem Amtsantritt als US-Präsident im Januar die Einwanderungspolitik des Landes massiv verschärft. Schon im Wahlkampf hatte Trump keinen Hehl aus seinen Plänen gemacht, sprach zeitweise vom „größten Abschiebeprogramm in der Geschichte“. Die US-Abschiebebehörde hat vom Weißen Haus den Auftrag, 3000 Festnahmen pro Tag durchzuführen.

Um dieses Ziel zu erreichen, gehen die Beamten mit zunehmender Aggressivität vor: Es gibt Berichte, dass ICE-Mitarbeiter durch die Städte streifen, vor Gerichtsgebäuden oder Krankenhäusern lauern oder vermummt vor Arbeitsplätzen und Schulen auftauchen, um Migranten abzufangen und sie in Gefängnisse zu bringen. Der demokratische Politiker Tim Walz verglich das Vorgehen der Behörde gar mit der Gestapo, wenngleich Historiker den Vergleich kritisch sehen.

In Los Angeles führten die Einsätze der Behörde zuletzt zu größeren Protesten und auch zu Straßenkämpfen mit den Beamten. Trump mobilisierte daraufhin die Nationalgarde. Überall sorgen die Einsätze inzwischen für ein Klima der Angst. Laut Medienberichten trauen sich offenbar selbst diejenigen mit gültigem Visum kaum noch auf die Straßen.

„Geschichte wiederholt sich“

Genau hier setzt die ICEBlock-App des Entwicklers Joshua Aaron an. „Ich habe die App als ein Frühwarnsystem konzipiert“, sagt er dem Regionalsender Fox 13 Seattle. „Wenn du eine Push-Nachricht bekommst, dass ein ICE-Beamter in der Nähe ist: Biege links ab, dreh um, geh nach Hause, bring dich und deine Familie in Sicherheit, und vermeide die Konfrontation“, warnt Aaron.

Seine Motivation für die App macht Aaron ebenfalls deutlich. Er sei selbst Jude und befürchte angesichts der Ereignisse in den USA bereits das Schlimmste: „Wenn wir Fünfjährige in Gerichten ohne Beistand sehen, wenn wir College-Studenten sehen, die wegen ihrer politischen Haltung verschwinden, wenn wir weinende Mütter sehen, denen ihre Babys aus den Händen gerissen werden, und all das im Namen unseres Landes und unseres Patriotismus, dann sehen wir, wie sich Geschichte wiederholt“, sagt der Entwickler.

Veröffentlicht wurde die App bereits im April. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie jedoch erst bekannt, nachdem der Nachrichtensender CNN in der vergangenen Woche einen Bericht über Aaron und sein Programm ausgestrahlt hatte. Dieser erreichte schließlich auch die Trump-Regierung – mit Folgen.

Trump-Regierung droht

Kurz nach Ausstrahlung des TV-Beitrags meldete sich Trumps Heimatschutzministerin Kristi Noem auf Elon Musks Plattform X zu Wort – und sprach dort von einer „Behinderung der Justiz“. Tags drauf postete sie eine Drohung in Richtung des TV-Senders CNN: Man prüfe gemeinsam mit dem Justizministerium, ob man strafrechtlich gegen den Nachrichtensender vorgehen könne, schließlich würde dieser Menschen „aktiv ermutigen, Strafverfolgungsmaßnahmen zu umgehen.“ Das sei angeblich „illegal“.

Auch ICE-Chef Todd M. Lyons meldete sich zu Wort und nannte die angebliche Werbung für Aarons App „unverantwortlich“. CNN gefährde damit willentlich das Leben von Beamten und ermögliche es „gefährlichen kriminellen Fremden, sich US-Gesetzen zu entziehen.“ Ähnlich äußerte sich auch US-Justizministerin Pam Bondi. Die App würde Kriminellen verraten, wo Bundesbeamte unterwegs sind, und stelle damit eine Gefahr für deren Leib und Leben dar.

CNN selbst verteidigte seine Berichterstattung – nichts sei illegal daran, über die Existenz einer App zu berichten, heißt es vom Nachrichtensender. Und auch Aaron konterte: Die App sei nicht entwickelt worden, um die Justiz zu behindern oder gar Gewalt gegen Beamte auszulösen, sondern als Warnsystem. „Nichts was ich getan habe, ist illegal. Es ist nicht illegal, die App zu entwickeln, es ist nicht illegal, sie zu installieren. Benutze sie, markiert Sichtungen – all das ist freie Rede, die in der Verfassung garantiert wird“, so der Entwickler gegenüber Fox 13 Seattle. Das sehen auch verschiedene US-Juristen so, die vom Magazin „Wired“ befragt wurden.

Kritik an der App

Doch an Aarons Programm gibt es auch Kritik aus der Nutzerschaft. Ein Manko: Die App ist nur im iOS-Store für iPhones verfügbar, nicht aber für Android – und das sei laut dem Entwickler auch nicht geplant. Für Betroffene ist das ein durchaus relevantes Detail: Zwar sind iPhones in den USA weiter verbreitet als etwa in Europa – insbesondere in migrantischen und einkommensschwächeren Familien werden jedoch auch häufig günstigere Android-Telefone genutzt. Diese sind aktuell von der Warn-App ausgeschlossen.

Laut Aaron hat die Entscheidung datenschutztechnische Gründe: Unter Googles Betriebssystem sei es nicht möglich, für die App die nötige Anonymität zu garantieren, erklärte er. Andere Entwickler, darunter die der datenschutzfreundlichen Android-Variante GrapheneOS, konterten Aarons Darstellung auf Social-Media. In Wirklichkeit gebe es in dieser Hinsicht keinen relevanten Unterschied zwischen iOS und Android, schreiben sie.

Ein weiterer Kritikpunkt: ICEBlock ist nicht „Open Source“, das bedeutet: Der Quellcode ist nicht offen und andere Entwicklerinnen und Entwickler können nicht kontrollieren, ob die App ihre Datenschutzversprechen tatsächlich einhält. Manch einer äußerte daher in den sozialen Medien gar den Verdacht, die App könne gefährlich sein – und möglicherweise gar von ICE selbst betrieben werden, um Migrantinnen und Migranten eine Falle zu stellen. Das Magazin „Techcrunch“ hat sich jedoch den Netzwerkverkehr des Programms angesehen und kommt zu dem Schluss, dass die App ihre Datenschutzversprechen einhält.

Katz- und Mausspiel mit der Trump-Regierung

Es ist nicht das erste Mal, dass US-Bürgerinnen und -Bürger moderne Kommunikationsmittel und Tricks nutzen, um sich ein Katz- und Mausspiel mit der US-Regierung zu liefern. Kurz nach der Amtseinführung Trumps Anfang des Jahres verbreiteten sich auf der Plattform Tiktok zahlreiche Videos, die immer das gleiche Thema beinhalteten: „Cute Winter Boots“.

Was zunächst aussah wie in Modetrend, war in Wirklichkeit der Versuch, den Algorithmus der Plattform zu überlisten und über ICE-Razzien aufzuklären. Es wurde befürchtet, dass die Plattform politische Themen und Kritik an der US-Regierung in ihrer Sichtbarkeit einschränkt. Also erfanden Nutzerinnen und Nutzer ein Codewort, um Aufklärungsvideos für Migrantinnen und Migranten zu verbreiten.

In den Videos wurde über die Abschiebepläne der US-Regierung informiert und wie sich Betroffene nun verhalten sollten – jedoch immer verbunden mit dem Codewort „Cute Winter Boots“. Diese schützen schließlich vor Schnee und Glätte – und vor „ICE“.

Entwickler erhält Todesdrohungen

Unklar ist, welche Folgen der aktuelle Hype um die ICEBlock-App noch haben wird. Joshua Aaron hat bereits von Todesdrohungen berichtet, die er per E-Mail erhalten habe. Das halte ihn jedoch nicht davon ab, die App weiterzubetreiben, sagt der Entwickler.

Möglich wäre aber auch, dass die Trump-Regierung versuchen könnte, den Entwickler mit juristischen Mitteln, also einer sogenannten Slapp-Klage, einzuschüchtern. Justizministerin Bondi hatte bereits eine Warnung gegen den Entwickler ausgesprochen. Dieser solle besser „aufpassen“, das Justizministerium „schaue auf ihn“.

Möglich wäre auch, dass die Trump-Regierung Druck auf den Konzern Apple ausübt, der die App in seinem Appstore anbietet. US-Präsident Trump steht mit Apple und dessen Konzernchef Tim Cook aktuell ohnehin auf Kriegsfuß – die unliebsame App könnte nun einen weiteren Konflikt auslösen. Hinweise darauf gibt es bislang aber nicht: Trump selbst hat sich zum Fall bislang nicht persönlich geäußert.

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