
Wer sich in Nordrhein-Westfalen bislang gegen das Coronavirus boostern lassen wollte, musste nach der Zweitimpfung fünf bis sechs Monate verstreichen lassen. Nun hat das Landesgesundheitsministerium die Regel stark gelockert: Auch mit vier Wochen Abstand soll nun geimpft werden, wer will. Wäre das ein Modell für ganz Deutschland, um die Impfkampagne zu beschleunigen?
Zu welchem Zeitpunkt eine Booster-Impfung sinnvoll ist, ist eine komplexe Abwägung. Sie hängt vom eigenen Gesundheitszustand, der Ansteckungsdynamik, immunologischen Faktoren – und neuen Virusvarianten ab. Ein Überblick:
Booster-Impfung: Was gilt in NRW?
Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen können sich in den Impfstellen von Kommunen und Kreisen nun bereits nach vier Wochen eine Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus verabreichen lassen. Das hat das NRW-Gesundheitsministerium am Montag in einem Erlass geregelt.
Ein Booster vor Ablauf der fünf Monate sei grundsätzlich möglich, stellte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums klar. Es handele sich jedoch bei dem vierwöchigen Mindestabstand ausdrücklich nicht um eine Empfehlung, sondern lediglich um eine Untergrenze. Das verkürzte Impfintervall orientiere sich an der aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission, heißt es zur Begründung. Das jedoch stimmt so nicht.
Boostern: Was empfiehlt die Stiko?
Tatsächlich empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) bislang allen Personen ab 18 Jahren eine Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff. Prioritär sollten insbesondere besonders für Covid-19 Gefährdete geboostert werden. Dazu zählen Ältere über 70 und Menschen mit Immundefizienz, worunter beispielsweise Immundefekte, Organ- und Stammzelltransplantationen, Krebs und HIV fallen.
„Die Auffrischimpfungen soll in der Regel im Abstand von 6 Monaten zur letzten Impfstoffdosis der Grundimmunisierung erfolgen“, heißt es in der aktuellesten Stiko-Empfehlung von Mitte November. „Eine Verkürzung des Impfabstandes auf 5 Monate kann im Einzelfall oder wenn genügend Kapazitäten vorhanden sind erwogen werden.“ Von einem Impfabstand vier Wochen nach der Grundimmunisierung für alle ist in der Stiko-Empfehlung also keine Rede.
Mit einer Ausnahme: Personen mit schwerer Immunschwäche sei der Booster bereits vier Wochen nach Grundimmunisierung zu empfehlen. Wer mit Johnson & Johnson geimpft wurde, kann ebenfalls vier Wochen nach der Grundimmunisierung mit einer Dosis von Biontech oder Moderna auffrischen.
Was sagt die EMA zu verkürzten Booster-Abständen?
Booster-Impfungen gegen Corona könnten auch schon nach drei Monaten erfolgen – zumindest nach Einschätzung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Ungeachtet der geltenden Empfehlungen, die Auffrischung nach sechs Monaten zu verabreichen, „sprechen die derzeit verfügbaren Daten für eine sichere und wirksame Auffrischungsdosis bereits drei Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung“, sagte der EMA-Direktor für Impfstrategie Marco Cavaleri vergangene Woche bei einer Pressekonferenz der Behörde in Amsterdam. Ein so kurzer Abstand wäre möglich, wenn dies „unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheit wünschenswert ist“.
In Großbritannien, wo die neue Omikron-Variante bereits stark kursiert, empfehlen die Gesundheitsbehörden ebenfalls bereits Menschen mit erhöhtem Risiko für Covid-19 die Auffrischung nach drei Monaten. Dazu zählen auch bereits über 30-Jährige. Über 16-Jährige können sich nach diesem Zeitabstand impfen lassen, wenn sie viel Kontakt mit Personen mit erhöhtem Covid-Risiko haben.
Die immunologische Sicht: Booster vorziehen nicht immer vorteilhaft
Es gibt einen immunologischen Faktor, weshalb es Sinn haben kann, nicht innerhalb kurzer Zeit nach der Impfung erneut zu boostern. Gibt man die den Booster zu früh, unterbricht man bestimmte Reifungsprozesse des Immunsystems. „Man sollte nicht sofort nachimpfen“, erklärte der Impfstoffforscher Leif Erik Sander von der Berliner Charité vor wenigen Wochen der „Zeit“. Es sei von anderen Impfstoffen bekannt, dass ein größerer Abstand zwischen Zweitimpfung und Booster zu einer besseren Immunantwort führt. Wo genau beim Corona-Impfstoff die Grenze verlaufe, wisse man jedoch nicht genau.
Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk verweist darauf. Schon eine zweite Auffrischung nach drei Monaten sei immunologisch „wenig sinnvoll“, wird die Expertin von der „Tagesschau“ zitiert. Nach drei Monaten habe man immer noch ein hohes Niveau an Antikörpern im Blut. „Wenn Sie noch so hohe Spiegel haben, bringt der Booster nicht so viel“, so Falk. „Irgendwann erreicht das Immunsystem auch sein Maximum.“
Die epidemiologische Sicht: Schnell viele boostern
Dass sich ein Booster grundsätzlich für alle empfiehlt und nicht nur bei Vorerkrankungen, haben Beobachtungsdaten aus Israel und Großbritannien demonstriert. Dort wurde bevölkerungsweit bereits im Sommer intensiv geboostert. In der Folge ging das Infektionsgeschehen in den relevanten Bevölkerungsgruppen zurück – hatte also einen eindämmenden Effekt. Die Hoffnung haben Fachleute auch hierzulande: Deutschland könnte mittelfristig die Ansteckungen im Corona-Winter besser in den Griff bekommen, wenn die Boosterimpfungen zügig bevölkerungsweit durchgeführt werden.
Auch die Stiko formuliert, dass eine Auffrischung für alle über 18-Jährigen zum Ziel hat, den Individualschutz aufrechtzuerhalten und die Übertragungen von Sars-CoV-2 in Deutschland damit zu reduzieren. Heißt also: Die Infektionswelle könnte damit abgeschwächt und zusätzlich schwere Erkrankungs- und Todesfälle verhindert werden.
Welche Rolle spielt Omikron?
Omikron verändert die Abwägung, wann Booster-Abstände sinnvoll sind, noch einmal. Menschen mit einer Grundimmunisierung haben ersten Erkenntnissen zufolge nämlich nicht genügend Antikörper, um die Omikron-Variante zu neutralisieren – wodurch wohl insbesondere der Schutz vor einer Ansteckung geringer ausfällt. Ein Booster erhöht das Level und damit den Immunschutz hingegen um ein Vielfaches. Das zumindest lassen erste Laboruntersuchungen des Herstellers Biontech und weiterer Impfstoffforschenden vermuten.
Expertinnen und Experten halten die Ergebnisse für übertragbar auf andere Impfstoffe – also auch Moderna. Wie lange der verbesserte Schutz durch den Booster Bestand hat und wie hoch genau er in Bezug auf Ansteckung, Krankheit und Tod bei der neuen Virusvariante ausfällt, ist noch unklar.
Viel Zeit gibt es nicht mehr: Corona-Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass Omikron zum neuen Jahr hin hierzulande stark ausbreiten wird. Es könnte dann deutlich mehr Durchbrüche bei Geimpften geben als bislang, weil Omikron die Immunantwort teils umgehen kann.
Macht Boostern auch bei Delta Sinn?
Aktuell dominiert noch die Delta-Variante das Infektionsgeschehen in Deutschland. Auch jetzt hilft ein Booster bereits. Untersuchungen aus Israel, Schweden und Deutschland haben gezeigt, dass das Level für den Immunschutz relevanter Antikörper bei allen zugelassenen Impfstoffen mit der Zeit unterschiedlich stark abnimmt, spätestens aber nach sechs Monaten. Das heißt nicht, dass es dann plötzlich gar keinen Schutz mehr gibt. Aber die Impfung schützt nicht mehr so gut vor Ansteckung, Erkrankung und Tod wie zu Beginn.
Der Booster erhöht den Schutz vor schwerem Covid-19 infolge einer Delta-Infektion ebenfalls noch einmal deutlich – verglichen mit zweifach Geimpften. Forschende aus Israel konnten beispielsweise zeigen, dass bei einem Booster mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer erneut eine 93-prozentige Wirksamkeit gegen Krankenhauseinweisung bei dieser Variante erreicht wurde.
Wo kann ich mich informieren?
Anlaufstelle für eine Auffrischimpfung kann der Hausarzt oder die Hausärztin sein. Wer dort nicht weiterkommt oder keine feste hausärztliche Praxis hat, kann zum Beispiel bei der kostenlosen Hotline 116 117 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung anrufen und nach Terminen fragen. Auch die Internetportale der Kommunen, Kreise und Bundesländer bieten Informationen.
Eine weitere Anlaufstelle ist das vom Bundesgesundheitsministerium betriebene Portal „zusammengegencorona.de“. Dort gibt es zum Beispiel eine interaktive Deutschlandkarte, in der man Links, Telefonnummern sowie konkrete Impfangebote findet.
RND