Das Unerklärliche erklären Wie spreche ich mit meinen Kindern über Terror und Gewalt?

Ein Mädchen wird von seiner Mutter in den Arm genommen und getröstet.
Ein Mädchen wird von seiner Mutter in den Arm genommen und getröstet. © picture alliance/dpa
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Am vergangenen Wochenende hat ein Angreifer bei einer Jubiläumsfeier der Stadt Solingen (Nordrhein Westfalen) drei Menschen mit einem Messer getötet, acht weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Auch wenn derartige Attentate selten sind – sie sorgen für Angst und Schrecken. Klar, dass auch Kinder und Jugendliche davon mitbekommen. Aber wie erklären Eltern das Unerklärliche?

Ab welchem Alter sollte ich mit meinen Kindern über Gewalt und Terror sprechen?

Kinder bekommen oft viel mehr mit, als man denkt. Das ist nichts Neues. Aber wann ist ein Gespräch über Gewalt und Terror angebracht? „Man kann mit Kindern über Gewalt und Terror sprechen, ab dem Moment, in dem sie Fragen dazu stellen“, sagt Udo Baer, Therapeut und Buchautor. Einige Kinder stellen demnach schon mit vier Jahren Fragen, bei anderen rausche es vorbei – „das ist sehr unterschiedlich“, sagt Baer. Aber: Tatsächlich bietet es sich für Eltern an, auch schon in frühen Jahren mit ihren Kindern über Gewalt zu sprechen. „Oft erleben Kinder diese – unter Kindern – ja schon früh, zum Beispiel in der Krippe oder im Kindergarten“, sagt Eva Möhler, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums des Saarlandes.

Wie unterscheiden sich die Gespräche zwischen Kleinkindern, Schulkindern und Teenagern?

Eine Zeitung, die herumliegt, die Nachrichten oder soziale Medien: Eltern können kaum verhindern, dass Kinder aktuelles Tagesgeschehen mitbekommen. Die Gespräche mit den Kindern unterscheiden sich aber – je nach Alter. „Wenn die Kinder noch kleiner sind, kann man sie bei ihren eigenen Erfahrungen abholen“, sagt Baer. Meistens haben die Kinder in der Kita demnach schon einmal erlebt, dass ein Kind Spielzeug wegnimmt oder andere haut, wenn es etwas nicht bekommt. „Eltern können ihren Kindern erklären, dass es das bei Erwachsenen auch gibt“, empfiehlt der Buchautor. Der Vorteil eines solchen Gespräches: Kinder erfahren sehr früh, dass Gewalt nicht in Ordnung ist. „Wenn Kinder noch so jung sind, bietet es sich an, mit ihnen darüber zu reden, dass alle Kinder das Recht haben, gewaltfrei aufzuwachsen und sich sicher zu fühlen“, sagt Möhler. So entwickele sich auch schon mit sehr jungen Kindern eine gute Gesprächsbasis.

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Bei Schulkindern wird es dann noch schwieriger, Taten wie in Solingen zu verheimlichen – „das klappt meistens nicht und es ist auch nicht richtig“, sagt Baer. Auch deswegen seien Gespräche so wichtig – aber diese sollten altersgerecht sein. „Mit pubertierenden Kindern und Schulkindern kann man schon viel komplexer sprechen“, erklärt Möhler. Aber: Bei der Thematisierung spezieller Vorfälle wie in Solingen sollten Eltern darauf warten, dass das Kind danach fragt. „Eltern sollten ihren Kindern keine Gespräche über spezifische Gewalttaten ‚aufdrücken‘, sondern anbieten“, erklärt sie.

Wie erklären Eltern das Unerklärliche?

Taten wie in Solingen lassen sich nicht erklären. Selbst Erwachsene sind in Schockstarre und können sich kaum vorstellen, wie es dazu kam. Wie soll man aber mit seinem Kind über etwas sprechen, das man selbst kaum versteht? „Das Allerwichtigste im Gespräch ist es, dem Kind zu vermitteln, dass es okay ist, darüber zu sprechen und die Eltern etwas zu fragen“, sagt Möhler. Eltern sollten demnach Verständnis zeigen, dass das Thema das Kind bewegt und irritiert – „und signalisieren, dass es gut und okay ist, über Belastendes sprechen zu wollen und Fragen zu haben“. Und dabei können Eltern ruhig eingestehen, dass es nicht für alles auf der Welt eine Erklärung gibt, rät Baer.

„Wichtig dabei ist aber immer, dass gleichzeitig betont wird, dass die Eltern auf die Kinder aufpassen und die Familie so gut es geht sicher ist“, sagt der Therapeut. Kinder brauchen Baer zufolge Wahrhaftigkeit und Sicherheit, denn bei solchen schrecklichen Taten haben sie vor allem Angst, dass es ihnen auch passiert. Daher sollten Eltern auch betonen, dass Gewalttaten leider passieren, aber selten, und dass es an den allermeisten Orten in Deutschland gerade nicht der Fall ist und es viele Organisationen gibt, die sich um Vorsorge bemühen, rät Möhler. Die Initiative Schau hin empfiehlt Eltern, dass diese ihren Kleinkindern zusätzlich mitteilen, dass den Verletzten geholfen werde und die Polizei schnell vor Ort war, um die Menschen in Sicherheit zu bringen.

Was sollte man im Gespräch vermeiden?

Wenn ein Kind Fragen zu Gewalt und Terror stellt, sollten diese immer ernst genommen werden. „Wichtig ist, das Gespräch nicht nebenbei zu führen, sondern sich wirklich Zeit dafür zu nehmen“, sagt Baer. „Eltern sollten außerdem ganz offen sein und dem Kind nicht noch mehr Angst vermitteln, in dem sie zum Beispiel sagen, dass die Welt nun mal so schlimm ist und es nirgendwo mehr Garantien für Sicherheit gibt“, fügt Möhler hinzu. Vermieden werden sollten zudem unbedingt Floskeln wie „das geht dich nichts an“. Im Dunkeln gelassen zu werden, kann Kindern nämlich noch größere Angst machen.

Woran merke ich, dass die Geschehnisse mein Kind beschäftigen?

Kinder reden nicht unbedingt immer darüber, was sie beschäftigt. Manchmal können Eltern dies aber auch ohne Worte bemerken. „Bei kleineren Kindern kann man das gut am Spielen erkennen“, sagt Baer. Dort passiere nämlich alles, was die Kinder bewege. Wenn im Spiel etwas auftaucht, das auf Angst oder Schrecken hindeutet, sei das dem Autor zufolge ein Anzeichen dafür, darüber zu reden. „Ein Beispiel kann es etwa sein, wenn ein Kind plötzlich ein Messer malt oder ähnliches“, erklärt Baer.

Bei einigen Kindern lässt sich die Angst nicht im Spiel, sondern in der Nacht erkennen. „Die Kinder schlafen dann schlecht ein oder durch oder weinen ohne Anlass“, sagt Baer. Das können Anzeichen dafür sein, dass das Kind tagsüber etwas nicht verarbeitet hat. Dann sei es vor allem wichtig, dem Kind das Gespräch anzubieten – „und manchmal hilft auch einfach eine Umarmung“, sagt Baer.

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