
Am Bahnhof von Forst in der Lausitz stehen zwei SPD-Wahlhelfer unter einem roten Sonnenschirm. Außer zwei Jugendlichen, die Gummibärchen, Flaschenöffner und einen rot-weißen Ball schnorren, kommt keiner vorbei. Später streichen dieselben Kids um den Forster Hof herum. Hier spielt heute die Musik. Hier soll Alice Weidel sprechen, direkt aus dem Bundestag an die Neiße chauffiert.
Die AfD plakatiere hier die ganze Gegend zu, sagte einer der Wahlhelfer. „Die können vor Kraft kaum laufen.“ Und sie wollen auch hier, im Wahlkreis 41 Spree-Neiße 1, das Direktmandat bei der Landtagswahl holen. Hier, in der Heimatstadt von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke. Seit 2009 gewinnt Woidke diesen Wahlkreis für die SPD. Vor fünf Jahren war es erstmals knapp, nur 4 Prozent lag er vor dem AfD-Kandidaten Steffen Kubitzki. Dieses Mal will Kubitzki triumphieren. AfD-Chefin Weidel soll ihm dabei helfen und kommt für ihren ersten Auftritt im Brandenburger Landtagswahlkampf in die 17.000-Einwohner-Stadt an der Neiße.
Woidke mochten sie schon als Mitschüler nicht
Schon zwei Stunden vor Beginn der Wahlveranstaltung stehen die Menschen zu Dutzenden vor dem Forster Hof an. Weidel ist für viele hier ein Star. Am Ende werden viel mehr Menschen vor der Tür warten, als der Saal fassen kann. Ältere, Jüngere, die Mitte der Kleinstadtgesellschaft. „Wir sind nicht rechts“, sagt eine Besucherin zum Reporter, „und die AfD auch nicht. Sie ist die einzige Partei, die noch am Volk ist.“ Sie und ihre Begleiter klagen über den Niedergang des Einzelhandels und den ganzen Abstieg der einstigen Textilstadt Forst seit der Wiedervereinigung. Sie klagen über kriminelle Einwanderer, schlechte Schulen, Klimakleber und Grüne. Und über Woidke, der abgehoben agiere, wenn er einmal seine Heimat besucht. Den sie schon als Mitschüler nicht mochten.
Zur selben Zeit, auf einer anderen Brandenburger Wahlkampfbühne in Oranienburg, sagt der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah: „Links ist doof und rechts ist geil“, macht dann Selfies mit Jugendlichen. Die AfD setzt ohnehin immer stärker auf die Jungwähler. „Diese Generation wird vollenden, was wir begonnen haben“, sagt Brandenburgs Landeschef René Springer voller Pathos.
Seit zehn Jahren sitzt die AfD im Potsdamer Landtag und hat bereits mehrere Häutungen hinter sich. Erst führte AfD-Mitgründer Alexander Gauland die Fraktion, nach dessen Wechsel in den Bundestag dann sein politischer Ziehsohn Andreas Kalbitz. Als Strippenzieher des extrem rechten Lagers um den Thüringer Landeschef Björn Höcke baute Kalbitz seinen Einfluss auch bundesweit stetig aus – bis es dem damaligen Parteivorsitzenden Jörg Meuthen zu viel wurde. Kalbitz wurde aus der Partei gedrängt, in der Landtagsfraktion durfte er bleiben.
Doch mit der „Milzriss-Affäre“ – Kalbitz hatte den Parteifreund Dennis Hohloch verletzt – schlug sich Kalbitz auch im Land ins Abseits. Er wird dem nächsten Landtag nicht mehr angehören. Nach Jahren interner Streitigkeiten ziehen inzwischen alle führenden Kader an einem Strang – und haben die Macht fest im Blick. Wenn nicht dieses Mal, dann in fünf Jahren.
Eine neue Generation von AfDlern – smart, ehrgeizig, verbindlich im Ton und radikal in der Sache
Neben dem Spitzenkandidaten Christoph Berndt (68) wird der Landesverband nun von Hohloch, der im Bundesvorstand sitzt, und dem Bundestagsabgeordneten und Landeschef Springer geprägt. Der 35-jährige Hohloch und der zehn Jahre ältere Springer stehen für eine neue Generation von AfDlern – smart, ehrgeizig, verbindlich im Ton und radikal in der Sache. Der Brandenburger AfD mag ein Höcke fehlen, der bundesweite Medienaufmerksamkeit genießt. Sie ist auch bisher vom Verfassungsschutz nicht als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft worden. Weniger extrem als die Thüringer ist sie deswegen noch lange nicht. Nun wollen Berndt, Hohloch und Springer den Erfolg Höckes wiederholen und stärkste Kraft in einem Bundesland werden.
Dass Woidke für diesen Fall seinen Rücktritt angekündigt hat, spornt die AfD-Wahlkämpfer zusätzlich an. Gerade in der Heimatstadt des ungeliebten Ministerpräsidenten. Wenn Woidke „hier rausfliegt, die SPD das ganze Ding verliert, dann prophezeie ich euch, dass in der SPD etwas ins Rutschen kommt“, ruft Weidel in den Saal. Dann gebe es auch Neuwahlen im Bund.
Höcke wird kommen – aber eigentlich brauchen sie ihn nicht
Berndt ist kein Rhetoriker wie Höcke oder Weidel. Er beherrscht nicht das Spiel der unterschiedlichen Tempi und Tonlagen, er hetzt durch seine Reden. So geht manchmal fast unter, was der zierliche Labormediziner sagt, den der Verfassungsschutz seit Jahren als Rechtsextremen beobachtet: „Deutschland soll das Land der Deutschen bleiben“, ruft er in Forst. „Deutschland ist das Erbe unserer Jugend, und die soll sich nicht irgendwelchen Beduinen unterwerfen müssen.“ Der Saal applaudiert frenetisch. Ebenso, als Berndt darüber spricht, dass die AfD, wenn sie erst einmal in „Regierungsverantwortung in Bund und Land“ sei, die „Medien reformieren“ und Journalisten „eine Arbeit zuweisen“ werde.
Der Wahlsieg in Thüringen hat der AfD weiteren Rückenwind gegeben. Auch Weidel spricht nun erstmals von der „absoluten Mehrheit“ im Bund als Fernziel. In Brandenburg haben sie zum Wahlkampfabschluss jetzt auch Höcke eingeladen. Aber eigentlich brauchen sie ihn gar nicht mehr. Sie sind selbst radikal und erfolgreich genug.