
Die Gegenwart und ihre politischen Zumutungen sind präsenter denn je bei einem Holocaust-Gedenktag. Der Kampf um die Unverletzlichkeit der Würde jedes und jeder Einzelnen sei heute „so wichtig wie lange nicht“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Gedenkveranstaltung des Internationalen Auschwitz-Komitees am Donnerstag in Berlin anlässlich der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren.
„Antisemitismus, überhaupt Anfeindungen aufgrund eines bestimmten Glaubens, politischer Überzeugungen oder der sexuellen Identität, offener Hass gegen Frauen, gegen Personen mit falschen Hauptfarben, mit dem falschen Namen, Angriffe gegen Menschen mit Behinderung – das alles nimmt zu“, sagte Scholz, „offline und online“.
„Zeiten des explodierenden Populismus und Nationalradikalismus“
Den Namen des Trump-Beraters Elon Musk, Besitzer des sozialen Netzwerks X, nannte Scholz nicht. Doch er sprach von „direkter Einflussname mächtiger Einzelner mit extremistischen Ansichten“ auf die Netzwerke.
Auch den Namen der AfD nahm Scholz nicht in den Mund. Aber er sprach von „Zeiten des explodierenden Populismus und Nationalradikalismus“ und von „schamlosen Versuchen, rechtsextreme Positionen zu normalisieren“. Das war so direkt, wie es ein wahlkämpfender Kanzler in einer Gedenkrede sein konnte.

80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus sei es Verantwortung, „diesem Hass zu widerstehen“. Dazu seien „keine Heldentaten“ nötig. „Dafür reicht Zivilcourage“, sagte Scholz. Dazu genügten „Respekt, Fairness und Rücksichtnahme im alltäglichen Umgang“.
Holocaust-Gedenken: Scholz warnt vor Gleichgültigkeit
Scholz warnte vor Gleichgültigkeit gegenüber Diskriminierung. Er zitierte Roman Kent, den verstorbenen früheren Vorsitzenden des Auschwitz-Komitees und sein „elftes Gebot: Du sollst nicht gleichgültig sein“.
Mit Gleichgültigkeit habe im Nationalsozialismus die Zerstörung des Gemeinwesens begonnen. „Sie begann damit, dass deutsche Bürgerinnen und Bürger weitgehend tatenlos zusahen, als ihre Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn und Bekannten erst entrechtet, dann verschleppt und schließlich in Massen umgebracht wurden“, sagte er.
„Nie wieder dürfen wir es zulassen, dass unsere Gesellschaft in ,wir‘ und ,die anderen‘ gespalten werde“, sagte Scholz.
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das weitgehend geräumte Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Im heutigen polnischen Oswiecim wird am Montag der Befreiung gedacht. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird teilnehmen. Am Mittwoch sprechen Steinmeier und der ukrainische Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman dann im Bundestag.