Höcke und AfD gewinnen in Thüringen deutlich Schwierige Koalitionsbildung absehbar

AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke spricht während einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Marktplatz.
AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke spricht während einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Marktplatz. © Matthias Bein/dpa
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Erstmals ist in der Bundesrepublik eine rechtsextreme Partei bei einer Landtagswahl stärkste Kraft geworden. Mit großem Abstand landete Björn Höckes AfD in Thüringen vor den Christdemokraten unter ihrem Spitzenkandidaten Mario Voigt. Doch Höcke hat keine Chance, an die Regierung zu kommen, keine andere politische Kraft will mit ihm zusammenarbeiten.

Für die AfD ist dieser Wahlabend trotzdem ein historischer Erfolg. Höckes Wahlkampfauftritte inszenierte die Partei in den sozialen Medien als Triumphzug. Die stärksten Bilder lieferte eine gemeinsame Mopedausfahrt auf der Ost-Kultmaschine Simson – damit war der westdeutsche Zuzügler Höcke endgültig Teil der weit nach rechts offenen ostdeutschen Jugendkultur.

Die AfD ist Wahlsieger, regieren wird aber wohl die CDU

Die Thüringer CDU wiederum hat nach zehn Jahren beste Chancen, zurück an die Regierung zu kommen. Ihr Spitzenkandidat Mario Voigt hat den Wahlkampf seit Monaten zum Zweikampf gemacht, hat keine Attacke gegen Höcke ausgelassen. Nun landet er deutlich vor Sahra Wagenknechts Polit-Start-up BSW. Deren Thüringer Spitzenkandidatin Katja Wolf muss die eigenen Ministerpräsidentinnenträume fahren lassen.

Landtagswahl in Thüringen: Stimmanteile der Parteien

Voigt tritt auf der CDU-Wahlparty wie ein Popstar auf und lässt sich für den zweiten Platz feiern: „Die CDU ist zurück als die stärkste Kraft der politischen Mitte, Rot-Rot-Grün ist abgewählt. Die CDU hat geliefert.“ Das Wahlergebnis – eine „Herausforderung“. Dennoch zeigte er sich zuversichtlich, unter Führung der CDU eine Koalition bilden zu können. Einer Zusammenarbeit mit er AfD erteilte er erneut eine Absage.

Voigt, das zeichnete sich am Sonntag bereits ab, wird zunächst die SPD zu Gesprächen bitten. Mit deren Landeschef und Innenminister Georg Maier versteht er sich gut. Es herrscht ein gewisses Vertrauensverhältnis. In beiden Parteien steht man einem Bündnis mit dem BSW skeptisch gegenüber. Wolf sei okay, heißt es. Mit ihr lasse sich arbeiten. Auch sei die 48-Jährige bei Bedarf imstande, sich von Wagenknecht zu emanzipieren. Aber sonst sei die Retortenpartei weithin unberechenbar, heißt es weiter. So ist von „Glücksrittern“ die Rede – und davon, dass Wagenknecht in Thüringen unverändert die Populismuskarte spielen werde, um bei der Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres bessere Chancen zu haben.

Zwischen Landespolitik und Ukraine-Krieg

Was Voigt und Maier gleichermaßen ablehnen: irgendwelche Festlegungen hinsichtlich der Ukraine-Politik. Schließlich nimmt Wagenknecht immer wieder Positionen ein, die denen des russischen Präsidenten Wladimir Putin nahe sind – und im politischen Berlin weithin auf Ablehnung stoßen. Über das Thema sei in Thüringen gar nicht zu befinden, verlautet aus CDU und SPD. Auch sind beide Parteien nicht bereit, sich von Wagenknecht bei etwaigen Koalitionsverhandlungen reinreden zu lassen. Im Zweifel werde es dann eben nur eine Minderheitsregierung geben. Weder Christ- noch Sozialdemokraten wollen sich vom BSW die Bedingungen einer Zusammenarbeit diktieren lassen.

Darin könnte eine Chance für Bodo Ramelow liegen – nämlich vorerst einfach weiter zu amtieren, so lange, bis eine neue Regierung steht und ein neuer Ministerpräsident gewählt ist. Das kann Wochen, aber genauso gut auch Monate dauern. Der 68-Jährige hätte dann mehr denn je eine moderierende Rolle und könnte sich in Ehren aus der ersten Reihe der Landes- und der Bundespolitik verabschieden.

Strategisch denkende AfD-Vertreter wie Höckes Co-Vorsitzender Stefan Möller rechnen mit dem schon erwähnten Bündnis aus CDU, SPD und BSW – und verbinden damit neue Hoffnungen. Solch eine aus der Not geborene Koalition könnte instabil sein und nicht die gesamte Legislaturperiode halten, glaubt Möller. „Da werden Prozesse mit der Zeit in Erscheinung treten, die eine ganze Menge Chancen für uns, für die AfD, bieten“, fuhr er im Interview mit dem rechten Szenesender Auf 1 fort. „Sollte zum Beispiel so eine Allparteienkoalition gegen die AfD in die Brüche gehen, bietet sich innerhalb der Wahlperiode eine erneute Chance.“

Eine Koalition mit dem BSW könnte brüchig sein

Möller spricht von „gruppendynamischen Prozessen“ und lässt anklingen, dass er nicht allein auf ein Scheitern der Koalition, sondern ebenso auf ein Auseinanderbrechen der BSW-Fraktion setzt. Was Möller hofft, wird von Voigt und Maier befürchtet: dass eine Koalition mit dem BSW zwar eventuell zustande kommen, aber dann nicht halten könnte. Es wäre der Worst Case und womöglich das Vorspiel für Neuwahlen.

Unterdessen wird erst das Endergebnis des Urnengangs eine zweite entscheidende Frage beantworten: ob die rechtsextreme AfD eine Sperrminorität von einem Drittel der Sitze erlangen kann. Damit könnte sie beispielsweise die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren oder Änderungen der Landesverfassung verhindern. Ob die anderen Fraktionen der AfD den Posten einer Landtagspräsidentin oder eines Landtagspräsidenten verweigern, werden wiederum erst die Koalitionsgespräche zeigen. Die AfD hätte das Vorschlagsrecht, im dritten Wahlgang aber können auch andere Kandidaten nominiert werden.

Man sieht: Seit dem Wahlabend von Erfurt sind viele alte Fragen beantwortet – und viele neue Fragen entstanden. Entschieden ist, so oder so, noch lange nichts.

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