
Saskia Esken ist nicht erst im Wahlkampf gekommen. Seit einem Jahr hält sich die SPD-Bundesvorsitzende drei Tage im Monat in Ostdeutschland auf, um die Menschen besser zu verstehen, wie sie es während einer Sommerreise durch Sachsen und Thüringen Esken erzählt. Sie versucht, den hier um jede Stimme kämpfenden Sozialdemokraten Mut zu machen, wirkt aber selbst ein wenig ratlos. Denn ihre Reisen haben sich noch nicht ausgezahlt, wenn man auf die schlechten Umfragewerte schaut. Die Partei von Bundeskanzler Olaf Scholz liegt hier demnach nur wenig über der Fünf-Prozent-Hürde.
Zermürbend ist das politische Geschäft geworden. In Sachsen waren Gegner der Corona-Politik im Dezember 2021 mit Fackeln vor das Privathaus von Petra Köpping gezogen, seitdem hat die Sozialministerin Personenschutz.
Die 66-Jährige hatte sich trotzdem zur Spitzenkandidatin machen lassen. An einem heißen Tag ist sie mit Esken am Störmthaler See zusammengekommen. Auch SPD-Landeschef Henning Homann ist dabei. Er betont, es habe Alternativen zu Köpping gegeben. In diesen Zeiten sei aber Erfahrung gefragt. Es sind Krisenzeiten. Köpping, zu DDR-Zeiten Fünfkampf-Leistungssportlerin, hat Ausdauer.
In Thüringen tritt Georg Maier als Spitzenkandidat an. Er kommt wie Esken aus Baden-Württemberg und ist seit sieben Jahren als Westimport Innenminister. In Thüringen war die SPD 2019 auf 8,2 Prozent, in Sachsen auf 7,7 Prozent gestürzt – ihre jeweils bisher schlechtesten Ergebnisse. Bei den Landtagswahlen am Sonntagabend kommt es womöglich noch schlimmer.
Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat dagegen aus dem Stand in Umfragen deutlich zweistellige Ergebnisse eingefahren. Mit einer Frau, die noch 1989 in die SED eingetreten war und im vorigen Jahr aus der Linkspartei austrat, nicht selbst auf Landesebene antritt und Themen besetzt, die dort nicht zu klären sind: Bürgergeld, Migration, Ukraine-Krieg.
SPD startet den Wahlkampf, Scholz wird von Demonstranten ausgepfiffen
Ohnehin sorgt Scholz‘ Ampelregierung mit ihren Dauerquerelen für Gegenwind, aber die Krise mit Moskau und nun noch die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zur Abschreckung Russlands ist für die SPD hier eine besondere Last. Viele Menschen im Osten wollen den Konflikt mit Russland nicht und folgen einfachen Forderungen von BSW und AfD.
Auf die Frage, womit sie bei der Wahl punkten könnte, antwortet Köpping: „Mit Frieden.“ Maier kämpft unterdessen für ein Weihnachtsgeld von 500 Euro für Menschen, die Grundrente beziehen. Er will das zur Bedingung für eine Koalition machen. Ob das zieht?
„Können der Welt nicht zeigen, wer wir sind“
Esken hat Erklärungen für die schlechte Stimmung im Osten: „Die Tarifbindung der Unternehmen ist zu gering, die Löhne sind zu niedrig, Verletzungen durch Ungerechtigkeiten bei der Wiedervereinigung sitzen noch tief. Und die Grundstimmung ist: Es wird über unsere Köpfe hinweg regiert.“
Ein Beispiel für Benachteiligungen des Ostens wird ihr vom Handballverein SC DHfK Leipzig präsentiert. Er spielt in der 1. Liga, hat aber nur eine Halle mit 7500 Zuschauerplätzen und kann so nie Austragungsort großer Finalspiele oder internationaler Wettkämpfe – auch nicht für die Leichtathletik – sein, für die mehr als 10.000 Plätze vorgeschrieben sind.
Folgende Städte haben solche Spielstätten: Hamburg, Düsseldorf, Köln, Mannheim, München und Berlin. Dagegen Leere in den fünf neuen Ländern. Vereinspräsident Bernd Merbitz sagt: „Wir können der Welt nicht zeigen, wer wir sind.“
Ostdeutsche Sozialdemokraten haben es schon schwer, Deutschland zu zeigen, wer sie sind. Alle Parteispitzen kommen aus dem Westen. Bis auf Klara Geywitz hat die Partei auch niemanden aus dem Osten im Bundeskabinett. Und Geywitz steht mit dem gebrochenen Versprechen, 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen zu lassen, ramponiert da.
Die große Hoffnung der Sozialdemokraten: Köpping und Maier sind immerhin Regierungsmitglieder. Und vielleicht bleiben sie es sogar, wenn der Sprung über die Fünf-Prozenthürde geschafft wird und ohne die SPD keine Regierung gegen die AfD zu bilden wäre.