Langendorf-Verlagerung „Dicker Dören“: Risiko-Projekt in doppelter Hinsicht

Hier soll der Fahrzeugbauer Langendorf hin: der „Dicke Dören“. © Stephan Schuetze (Archiv)
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Trotz aller Anstrengungen in Stadtverwaltung und Politik, dem Fahrzeugbauer Langendorf im „Dicken Dören“ buchstäblich das Feld zu bereiten: Dass das Unternehmen sich tatsächlich entscheidet, an die Stadtgrenze zu Dortmund umzuziehen, ist nirgends verbrieft. Für eine kleine Kommune wie Waltrop sei das finanzielle Risiko schon erheblich, hört man aus Kreisen der Kommunalpolitik, nachdem Vertreter von NRW.Urban kürzlich im nicht öffentlichen Teil der Ratssitzung die weiteren Schritte bei der Entwicklung des Geländes vorgestellt haben. NRW.Urban ist ein hundertprozentiges Beteiligungsunternehmen des Landes und Partner der Stadt Waltrop bei der Flächenentwicklung.

Auch ohne Bagger-Bewegungen: Bauphase hat begonnen

„Jetzt ist Waltrop am Zug“, sagt SPD-Fraktionschef Detlev Dick. Auch wenn auf dem Gelände noch keine Bagger rollten, habe doch nun mit vorbereitenden Ingenieurs-Arbeiten die Bauphase begonnen. Dem Vernehmen nach bleiben alle im Rat vertretenen Fraktionen bei der Stange, auch nachdem sie erfahren haben, wie hoch das finanzielle Risiko ist. Offenbar wurden dazu in der Sitzung konkrete Zahlen genannt, dazu schweigen aber die Ratsmitglieder. Jedenfalls müssten wohl unter anderem Fördergelder zurückgezahlt werden. Es stellt sich die Frage, was mit einer zur Hälfte entwickelten Fläche geschehen würde, falls Langendorf mittendrin den Daumen senkt. Dicks CDU-Pendant Andreas Brausen betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig der enge Austausch mit dem Geschäftsführer des Fahrzeugbauers sei, der ja auch gepflegt werde.

Aber auch wenn Langendorf seine Umsiedlungs-Pläne aufrecht erhält, bleibt ein zweiter Risiko-Faktor für das Projekt: die Anwohner auf Dortmunder Seite. Eine Klage steht im Raum. Bisher liege im Rathaus aber keine vor, sagt Stadt-Sprecherin Andrea Middendorf.

Gutachter hatten schlüssige Argumente

Rückblick: Wer vor einigen Wochen den Gutachtern zugehört hat, die die Stadt in ihrem freiwilligen Anwohner-Beteiligungstermin vor der gesetzlich geregelten Anwohnerbeteiligung aufbot, der hörte viel Schlüssiges. Schlüssige Erklärungen, warum viele der negativen Erwartungen, die Anwohner auf der Dortmunder Seite mit der Ansiedlung verbinden, so nicht eintreten werden. Wertverlust der Immobilien durch das Projekt: nach Betrachtung von Vergleichsfällen mit neu entstandenem Gewerbe in der Nähe von Wohngebieten in Dortmund unwahrscheinlich. Lärmbelastung: fällt angesichts der – zugegebenermaßen hohen – vorhandenen Grundbelastung kaum ins Gewicht, zudem wird viel für Lärmschutz getan. Der Langendorf-Verkehr: kommt schon heute über die Autobahn, verlässt eben nur künftig schon nach wenigen Metern die Mengeder Straße, statt weiter Richtung Waltrop zu rollen. Weitere Beispiele ließen sich nennen.

Kommunikations-Versuch lief ins Leere

Indes: Den Gutachtern hat kaum jemand von den Kritikern zugehört. Die Bürgerinitiative hatte sich nach dem ersten Termin aus dem Beteiligungs-Format zurückgezogen, die ganze mühevolle Vorbereitung mit einer (durchaus sehr guten) Moderation, kleinen Arbeitsgruppen und dem ganzen Programm, das heutzutage zur wertschätzenden Kommunikation mit kritischen Bürgern gehört, lief weitgehend ins Leere.

Stattdessen finden sich in der einhelligen Aufforderung der Mengeder Bezirksvertretung an die Stadt Dortmund, gegen das Projekt Langendorf zu klagen, unverdrossen jene Argumente, die man doch auch ohne allzu sehr durch eine „Waltroper Brille“ zu schauen, als entkräftet ansehen kann.

Warum gelingt es der Stadt Waltrop so schlecht, zu den Anwohnern jenseits der Stadtgrenze durchzudringen? Eine Antwort könnte der amerikanische Risikoforscher Peter Sandman liefern (siehe zweiter Text).

Im Rathaus und bei den Fraktionen jedenfalls sieht man das Scheitern des Kommunikations-Anlaufs erstaunlich entspannt. Es sei ein Versuch gewesen, mehr habe man nicht tun können, so der Tenor. Und: Selbst wenn man die Mehrheit der Anwohner auf seiner Seite hätte, reiche es ja schon, wenn dennoch ein Einzelner klage. Und dass das geschieht, damit wird allgemein gerechnet.

Die Empörung hat oft nichts mit Daten zu tun

Der amerikanische Risikoforscher Peter Sandman definiert Risiko als die Summe aus (messbarer) Gefahr und der Empörung. Auf Englisch: Risik = Hazard plus outrage. Sandman spricht einen interessanten Punkt an: Wenn man einem über ein Projekt empörten Bürger unter die Nase reibt, dass die Zahlen und Daten zeigten, er sei ganz umsonst empört und mithin eigentlich im Unrecht – ist er dann weniger empört? Eher nicht! Wer lässt sich schon gerne zusätzlich zu seinen Befürchtungen, Nachteile zu erleiden, auch noch sagen, er unterliege damit einer Fehlwahrnehmung? Das empört doch eher noch zusätzlich.

Die Stadt müsste also daran arbeiten, die Empörung zu senken, die sich nicht auf das mathematisch berechenbare Risiko des „Dören“-Projekt bezieht. Als „Empörungsfaktoren“ beschreibt die Wissenschaft vielmehr die emotionalen Faktoren, die die Risikowahrnehmung der Menschen beeinflussen. Die haben nichts mit der klassischen Definition eines Risikos zu tun, das nur die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens (oder Nachteils) und den Umfang dieses möglichen Schadens oder Nachteils als Kriterien kennt. Die Wahrnehmung der Bürger aber wird von ganz anderen Dingen bestimmt. Die Forschung zeigt: Die Risiken, die als unfreiwillig auferlegt, industriell und ungerecht verteilt angesehen werden, gelten vielen als größer als solche Risiken, die als freiwillig in Kauf genommen, natürlich und fair verteilt angesehen werden. Auch die Vertrauenswürdigkeit des Vorhabenträgers ist wichtig: Welche Erfahrung haben die Mengeder Bürger in der Vergangenheit mit der Stadt Waltrop und mit Langendorf gemacht? Mit den Argumenten der Gutachter wird man vielleicht bei Gericht auftrumpfen können. Ob man damit „empörte“ Bürger für sich gewinnt, erscheint mindestens fraglich. Da geht es mehr um das Management der „Empörungsfaktoren“. Wie das gelingt? Schlag nach bei Peter Sandman!

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