
Kaum anderthalb Monate ist es her, dass unsere Zeitung von einer „aggressiven Stimmung“ in den Arztpraxen berichtete: Patienten schrien das Personal an, um vor dem geplanten Urlaub noch eine Impfung zu erzwingen. Die Telefone waren dauerbesetzt aufgrund zahlreicher Anfragen – und die Arzthelferinnen gingen am Stock. In Waltrop hat man freilich solche Szenen vermieden, seit das Impf-Portal der Vestnet-Ärzte online ging.
Doch die im Grundsatz vorbildliche Einrichtung kämpfte immer wieder mit Widrigkeiten: Erst dauerte es, bis das Portal überhaupt an den Start gehen konnte. Die „Nuss“ Datenschutz war schwerer zu knacken als gedacht. Dann redeten sich die Ärzte den Mund fusselig, um den Impf-Bereiten nahezubringen, dass auch das Präparat von Astrazeneca sicher ist und kein Vakzin zweiter Klasse. Schließlich blieben geplante Impfstoff-Lieferungen aus – Andersen und seine Kollegen mussten ungeduldige Bewerber bitten, sich noch im Abwarten zu üben. Wenige Wochen ist das erst her.
Das Blatt hat sich gewendet
Und jetzt? Hat sich das Blatt komplett gewendet. Jetzt ist endlich reichlich Impfstoff da, und zwar sogar von dem vermeintlichen Premium-Produkt von Biontech – aber gleichzeitig gibt es auch eine Impf-Müdigkeit. Die x-te Herausforderung für die nicht zu beneidenden Waltroper Mediziner. Dabei sei ja inzwischen klar, sagt Dr. Matthias Andersen, dass die sogenannte Kreuzimpfung – erst Astrazeneca, dann Biontech – besonders gut gegen das Virus schütze. Genau die empfiehlt ja inzwischen auch die Ständige Impfkommission (STIKO).
Das bedeutet wieder Arbeit für die Praxen: Impflinge, die ihre Erstdosis mit Astrazeneca bekommen haben, werden jetzt nach und nach angerufen, ihnen wird ein Zweittermin mit Biontech binnen weniger Tage angeboten. Man kann auch das Kontaktformular auf der Internetseite der Praxis nutzen, um selbst sein Interesse an einer Zweit-Dosis mit Biontec zu bekunden.
Nach Monaten „noch keine Gedanken gemacht“
Und es geht weiter auch um Erstimpfungen. Jeden, der regulär in seine Sprechstunde kommt, fragt Andersen, ob er geimpft ist und ob er geimpft werden will. Und hört manchmal Erstaunliches: Darüber habe sich der oder die Betreffende „noch gar keine Gedanken gemacht“. Eine wahrlich interessante Antwort nach vielen Monaten, in denen es vor diesem Thema quasi kein Entkommen gab. Manchmal gibt es aber auch Erfolgserlebnisse: Da lassen sich Patienten davon überzeugen, sich ganz spontan den Pieks geben zu lassen – Ärmel hoch, einmal stechen in den Oberarm, fertig! Andersen bittet seine Patienten auch, die Information zu streuen, dass man sich jetzt sehr zeitnah impfen lassen kann – Faktoren wie der Wohnort sind kein Ausschlusskriterium mehr.

Der Waltroper Facharzt macht sich nämlich große Sorgen wegen einer möglichen nächsten Welle, bei der die besonders ansteckende Delta-Variante des Virus im Mittelpunkt steht. „Ich fürchte, die Annahmen meiner Kollegen Felix Gahlen und Benjamin Bode, was die Impfquote in Waltrop angeht, sind etwas zu optimistisch“, sagt der Mediziner dessen Waltroper Praxis im Laurentius-Stift ist. Andersens Kollegen gehen von einer „gefühlten Impf-Quote“ von 90 Prozent in Waltrop aus. „Leider gibt es dazu ja keine offiziellen Zahlen“, sagt Andersen. Jedenfalls gehe es ihm insbesondere darum, Eltern fürs Impfen zu gewinnen, damit sie nicht über ihre Kinder das Virus nach den Ferien in die Schulen tragen.
Eine weitere Impf-Aktion an der Moschee mit dem Vakzin von Johnson & Johnson ist einstweilen nicht geben, weil die Nachfrage beim zweiten Mal schon geringer ausfiel als beim ersten.
Anstrengende Zeit für die Ärzte
Stattdessen wäre vielleicht an eine niederschwellige Ferien-Impfaktion in der Innenstadt zu denken, überlegt Andersen. „Nur: Wie sollen wir das auch noch leisten?“ Die letzten Wochen – sie waren sehr anstrengend für die Ärzte und ihre Mitarbeiter. „Wir hatten am Donnerstag Vestnet-Vorstandssitzung“, sagt Andersen. Da sei die hohe Belastung noch einmal Thema gewesen.
Der Beratungsbedarf im Reisebüro ist Riesig
Der Blick auf die Internetseite des Auswärtigen Amtes gehört inzwischen für Sabine Friedrich vom Ickerner Reisebüro Reisemaxx, das vor Kurzem einen Zweit-Standort an der Dortmunder Straße in Waltrop eröffnet hat, zur täglichen Pflicht. Sie muss wissen, was sich hinsichtlich der Einreisebestimmungen in den Ziel-Ländern ihrer Kunden geändert hat. Neueste Bestimmung: Malta erkennt als erstes europäisches Land weder den Genesenen-Nachweis noch die – von der deutschen Impfkommission ausdrücklich empfohlene – Kreuzimpfung an. Allerdings kommt man nach Medienberichten mit einem negativen Test ins Land. Dennoch: Der Beratungsbedarf sei riesig und täglich gebe es ja Änderungen – da endet ihr Arbeitstag aktuell noch lange nicht, wenn sie die Tür zum Reisebüro abschließt.
„Das Thema Kreuzimpfungen spielt in den Gesprächen mit unseren Kunden höchstens eine ganz untergeordnete Rolle“, sagt derweil Manuel Larios von der „Fernwehlounge“. Bekannt sei ja, dass die USA Kreuzimpfungen nicht akzeptierten, „aber dort kann man ja zurzeit ohnehin nicht hinreisen“. Und Malta spiele als Ziel-Land seiner Kunden keine große Rolle.
Viel mehr im Mittelpunkt bei den Kunden stehe die Frage nach den Risikogebieten und eventuellen Quarantäne-Auflagen für beliebte Reiseziele wie etwa Mallorca. Auch hier gibt es laufend Änderungen. Natürlich werde der Kunde beraten, so gut es gehe, sagt Larios, aber er müsse schon selbst auch mitarbeiten. Das Reisebüro könne etwa nicht selbst QR-Codes generieren oder Formulare für die Kunden ausfüllen – aber eben darauf hinweisen, was man für die Einreise braucht.