
Auf der anderen Seite des Zauns ist das Gras definitiv immer grüner. Nicht nur das. Auf dem Gras steht meistens auch noch ein großer Pool, eine kleine Bar mit leckeren Cocktails und im Hintergrund läuft gute Musik. Bei mir hingegen, Brachland. Kein Gras, kein Pool, keine Cocktails.
Ganz so schlimm ist es natürlich nicht, aber ihr wisst, was ich meine, oder? Der Neid auf andere ist manchmal schon sehr ausgeprägt. Vor allem, wenn ich Leute kennenlerne, die sehr ordentlich sind. Ich liebe nämlich Ordnung.
Großer Fan von Ordnung
Ich mag es, wenn jede Kleinigkeit seinen festen Platz hat und, dass man sagen kann, wenn jemand etwas sucht: „Klar, das ist rechts oben in der Schublade, in der kleinen Schale.“
Wenn mich jemand fragt, erinnere ich mich zwar vage an den erfragten Gegenstand, kann aber beim besten Willen nicht sagen, wo dieser kleine Schlingel sich momentan aufhält. Vielleicht unter dem Wäscheberg auf dem Stuhl? Vielleicht aber auch in irgendeiner vollgestopften Schublade, die allen Zuflucht gewährt, die sonst verstreut auf dem Boden rumliegen würden.
Chaotischer Schreibtisch war mal cool
Früher in der Schulzeit gehörte es irgendwie zum guten Ton chaotisch zu sein. Es war ein Akt der Rebellion, ein Aufwiegen gegen den Ordnungsdrang der spießigen Eltern.
Man vertrat Meinungen wie „Das Genie überblickt das Chaos“, statt ab und zu mal das dreckige Geschirr aus dem Zimmer in die Küche zu bringen oder – ganz krass – sogar in die Spülmaschine einzuräumen.
Alle schaffen den Wandel zur Ordnung
Irgendwann scheinen aber die meisten den Absprung Richtung Ordnung geschafft zu haben. Oder sie sind besser darin geworden, ihr Chaos zu verbergen. Ich meine, wer mich besucht, kommt meistens auch in den Genuss einer oberflächlich ordentlichen Lebenswelt. Aber Gnade uns nur Gott, falls jemand es wagt, eine Schranktür zu öffnen, hinter der ich in der Eile des „Aufräumens“ alles versteckt habe, was mein wahres Naturell verrät: das Chaos.
Hoffnung auf Besserung ist gering
Ich frage mich, ob Unordnung von nun an bis ans Ende meiner Tage mein Schicksal ist. Werde ich für immer mit der Frage konfrontiert sein, welche Klamotten auf dem Stuhl in die Wäsche müssen und welche noch gut sind? Werde ich immer vor Besuch panisch versuchen, Unterlagen, Krimskrams und Co. irgendwo in den Tiefen meines Schreibtisches zu verbergen? Dort, wo man sie niemals wiederfindet.
Werde ich mich jedes Jahr zur Steuererklärung aufs Neue ärgern, dass ich meine Rechnungen nicht besser abgeheftet habe und sie stattdessen aus allen möglichen Kladden und Briefumschlägen, aus dem Altpapier und aus den Schubladen rausfischen muss? Kann man auch im sehr sehr späten Jugendalter diesem Schicksal noch entkommen, ohne auf Marie Kondo zurückgreifen zu müssen?