
Fynn Kliemann ist Webdesigner, Heimwerker, Autor, Schauspieler, Maler, Youtuber und vor allem Musiker. 2018 gewann der Sänger aus Niedersachsen den Radiopreis 1Live Krone als bester Newcomer. Auf seinem Kreativhof „Kliemannsland“ in Rüspel bei Zeven hat er jetzt das Album „Nur“ eingespielt, welches ungewöhnliche Neuaufnahmen seiner eigenen Lieblingslieder enthält. Wir sprachen mit Fynn Kliemann über seine Platte und die Umwelt.
Produzenten, DJs und Remixer wie Philipp Schwär, Moglii, Farhot, Brenk Sinatra und Yassin, Klinger und Niklas Strauß haben Hand an Deine Musik gelegt. Sollen die Neufassungen einen bestimmten Zweck erfüllen?
Nein, ich schätze einfach die Leute hinter diesen Remixen sehr. Meine Sachen sind ein bisschen schmusig, ich wollte aber, dass sie auch mal hart klingen. Ich habe denen gesagt, sie sollen sich voll austoben. Farhot etwa hat „Ich schmeiß mein Leben auf den Müll“ total zerschnippelt. Das finde ich richtig geil. Scheiß auf Radio, das muss nirgends laufen. Je verrückter, doller, härter und kritischer, desto besser.
Mittlerweile wird fast alles geremixt, sogar berühmte Reden des US-Bürgerrechtlers Martin Luther King. Bringt das die Musik voran?
Ich liebe Remixe in dritter Instanz, wo man das Original kaum noch erkennt. Ich bin ein Fan von der Einstellung, dass man sich alles nehmen und daraus machen darf, was man möchte. Das ganze Urheberrechtsgebimmel geht mir auf den Sack. Ich wollte auch mal Sachen verwenden von Leuten, die ich cool finde. Aber die wollten dafür 80 Prozent meines Urheberrechtsanteils und einmalig 15.000 Euro haben. Das steht in keinem Verhältnis! Die Welt wäre besser, wenn man es einfach verwenden und etwas cooles Neues draus machen dürfte. Dafür gibt es doch Musik!
Ein Teil der Songs von „NUR“ ist am Piano mit Streicherbegleitung eingespielt worden. Was fasziniert Dich daran, Deine eigenen Stücke so minimalistisch neu aufzunehmen?
Das ist jetzt ein bisschen geiler produziert, aber so ungefähr klingen die ersten Versionen meiner Songs. Ich sitze am Klavier und spiele sie. Erst durch den Prozess der Produktion werden sie größer und toller. Manchmal finde ich die komplett zurückgefahrene Urversion auch schön. Ich will mit dieser Platte beide Seiten von mir zeigen: die laute und harte bzw. superweiche und ruhige.
Ist der öffentliche Fynn Kliemann auf gewisse Weise auch eine Kunstfigur?
Nein, es ist wirklich alles echt. Es ist natürlich persönlich verletzend, wenn jemand davon etwas schlecht findet. Aber so bin ich glücklicherweise/leider wirklich. Ich habe es nie geschafft, etwas zu mimen als schlechter Schauspieler. So sind auch meine Musik und Kunst sehr nah an mir persönlich dran.
Warst Du in der Schule gut in Kunst und Musik?
Ich war Schlagzeuger in einer Schulband und hatte zwölf Jahre Unterricht. Das einzige, was ich jemals in meinem Leben gelernt habe – und das einzige, was ich gar nicht mehr mache. In Kunst war ich absolut durchschnittlich. Schaut man sich heute meine Sachen an, würde man nicht sagen, dass ich mit extrem viel Talent gesegnet bin. Es geht mir eher darum, mich auszudrücken. In keiner Sache bin ich der Beste, aber man darf sich davon nicht aufhalten lassen.

Dein Album „NUR“ wird nicht als klassisch schwarz-gerillte Polyvinylchlorid-Scheibe, sondern als Spezialanfertigung ausgeliefert. Was ist das für ein Material?
Wir haben Granulat verwendet, das während der Produktion durch Überhitzung Schaden genommen hat. Das Presswerk wollte das eigentlich alles wegschmeißen, aber wir wollten es behalten. Jetzt sind auf der Platte schwarze Linien drauf, und die Käufer bekommen somit Unikate. Wir haben sehr viele Platten vor dem Mülleimer bewahrt.
Das Album wird ausschließlich digital und auf streng limitiertem Vinyl erhältlich sein. Nachpressungen ausgeschlossen. Warum machst Du Deine Tonträger so rar?
Ich finde limitierte Versionen geil. Da überlegt man sich, ob man die Platte wirklich haben will. Vinyl behält man für immer. Ich will auch nicht, dass meine Produkte für den halben Preis irgendwo in der Grabbelkiste rumliegen. Deswegen haben wir genauso viele Platten produziert wie wir verkaufen können. Danach gibt es die Scheibe nicht mehr.
Der Nebeneffekt ist, dass Deine Platten bei eBay überteuert gehandelt werden.
Am Anfang habe ich diese Geier immer angeschrieben und beleidigt. Jetzt bin ich zwiegespalten. Es ist auch eine Ehre, dass Leute bereit sind, für meine Werke sehr viel Geld zu bezahlen. Die Vinylplatte ging zwischendurch für 600 oder 700 Euro weg. Voll irre. Manchmal bin ich darüber noch sauer, aber im Großen und Ganzen sehe ich es eher als Kompliment.
Du lässt Deine Schallplatten und Textilien unter ökologischen und fairen Gesichtspunkten herstellen. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich schaue mir an, wo das Zeug eigentlich herkommt und ob alle Beteiligten an dem Prozess fair bezahlt werden. Wo können wir auf Plastikverpackungen oder Holz, das nicht zertifiziert geschlagen wurde, verzichten und Alternativen finden. Selbst mein Album besteht aus sehr vielen Einzelteilen, wo man jede einzelne Baustelle optimieren kann.
Wirst Du die ganz große ökologische Trendwende noch persönlich erleben?
Ich muss es, denn wenn ich das nicht mehr erlebe, sind alle verloren. Früher dauerte eine Veränderung zehn Jahre, heute ist es ein Jahr. Und daraus wird bald ein halbes. Die Umsetzungszyklen halbieren sich jedes Jahr so wie sich Halbleitertechnologien verdoppeln.
Was forderst Du von der zukünftigen Bundesregierung, an der die Grünen beteiligt sein werden?
Klar, es gibt eine krasse Agenda. Die geht von Umweltschutz bis zu Dingen, denen ich hier auf dem Land jeden Tag ausgesetzt bin: schlechte Schweineställe um die Ecke, Massentierhaltung, Monokultur auf den Feldern. Diese Dinge lassen sich sehr schwer verändern, deswegen machen wir zum Beispiel Hanffelder oder etablieren Hofläden. Ich habe mit Politik schon ewig abgeschlossen und warte nicht darauf, dass sie irgendetwas verändert. Ein Dorfjunge ist geschult. Das, was er haben will, baut er sich selber.